0841 - Erst lieb ich dich, dann beiß ich dich!
aussah, als wäre sie rot lackiert worden. »Ich bin in den frühen Morgenstunden plötzlich erwacht und hatte den Eindruck, mit meinem Mann nicht mehr allein im Zimmer zu sein.«
»Warum sind Sie aufgewacht?«
Sie hob die Schultern, die eine makellose weiße Haut zeigten. »Ich kann es Ihnen nicht sagen, Mr. Sinclair. Vielleicht hat mich das Unterbewußtsein gewarnt, weil sich mein Bewußtsein tagsüber zu sehr mit dieser Frau beschäftigt hat. Jedenfalls wurde ich wach, und es kam mir vor wie eine Warnung.«
»Was geschah?«
»Mein Mann schlief nicht. Er lag nackt neben mir.«
»Was auch normal sein kann.«
»Ja, natürlich, wenn auch nicht bei ihm, denke ich. Aber ich wurde den Eindruck nicht los, daß er nicht allein war. Jemand ist in unserem Zimmer gewesen und schnell wieder verschwunden.«
»Wohin?«
»Keine Ahnung, aber das Fenster stand weit offen.« Sie ballte eine Hand zur Faust. »Ich war leider noch zu schlaftrunken, sonst hätte ich sicherlich mehr gesehen.«
Mir war das zuwenig, deshalb fragte ich: »Gibt es noch andere Beweise für Ihre Theorie?«
Eine ärgerliche Falte erschien zwischen ihren Brauen. »Das ist keine Theorie mehr.«
»Mir genügt es leider nicht, Señora.«
»Ja, ich weiß, Sie sind Polizist.« Ihre Handbewegung stufte ich als ärgerlich ein. Sie schaute gegen das Außengeländer der Treppe und erkundigte sich, ob mir bei Ihrem Mann nichts aufgefallen wäre.
»Was sollte das gewesen sein?«
»Er trug ein Pflaster am Hals.«
In mir spritzten Funken hoch. Daran hatte ich tatsächlich nicht mehr gedacht. Ich hatte einen Blutsauger getötet und einen Mann gesehen, der seinen Hals an einer bestimmten Stelle verpflastert hatte. Eigentlich brauchte ich nur noch eins und eins zu addieren, um zum richtigen Resultat zu gelangen. Ich gab eine ausweichende Antwort, weil ich von Maria Sanchez mehr wissen wollte. »Es kann sein, daß ich es gesehen habe. Wenn ja, dann ist es mir nicht aufgefallen, denn als Mann sieht man eher die Damen.«
»Hören Sie auf, mir schmeicheln zu wollen. Dieses Pflaster, Mr. Sinclair, klebt nicht ohne Grund dort. Mein Mann wollte damit Bißstellen verbergen.«
»Welche Bißstellen, bitte?«
Sie hob Zeige- und Mittelfinger der linken Hand. »Zwei Punkte«, erklärte sie, »die sich noch entzündet haben, wie mir mein Mann beim Frühstück berichtete. Deshalb hat er sie verpflastert. Es kommt noch etwas hinzu. Er hat sich schwach und matt gefühlt, und zwar den ganzen Tag über. Erst gegen Abend ist er aufgetaut.«
»Haben Sie dazu auch eine Theorie?«
»Insektenstiche können es nicht sein. Wir haben Winter. Da fliegen keine dieser Quälgeister umher. Nein, diese Bißstellen müssen eine andere Ursache gehabt haben.«
»Sie haben auch keinen Verdacht.«
»Doch!« erwiderte sie im Brustton der Überzeugung. »Den habe ich natürlich.«
»Hat er einen Namen?«
»Sie sagen es. Er heißt Cynthia Droux.«
»Womit sich der Kreis wieder geschlossen hätte. Sie war also in Ihrem gemeinsamen Schlafzimmer und hat Ihren Mann in den Hals gebissen. Ist das richtig?«
»So kann es gewesen sein.«
»Aber wer beißt einen anderen Menschen?«
Ihr Mund zog sich in die Breite. Die nächsten Worte bestanden mehr aus einem Zischen. »Wer kann denn sagen, welche sexuellen Praktiken diese Person bevorzugt? Ich habe Ihnen schon gesagt, daß von ihr etwas Böses ausgeht. Schauen Sie selbst nach, Mr. Sinclair.« Sie umfaßte meinen rechten Arm und rüttelte mich. »Gehen Sie in den Nachbarraum. Dort findet die Ausstellung statt, und da ist auch das kalte Büfett aufgebaut. Gehen Sie hinüber und reden Sie mit dieser Person. Aber geben Sie acht. Cynthia wird versuchen, auch Sie in ihren Bann zu ziehen. Sie versucht es mit jedem Mann, mit jedem!« Die Augen der Frau verengten sich. »Ich bin davon überzeugt, daß ich meinen Gatten und womöglich auch Ihren Freund Bill Conolly in ihrer Nähe finde. Dieser Abend wird noch spannender werden, Mr. Sinclair.«
Nach diesen Worten ließ sie mich stehen. Ich mußte ehrlich zugeben, daß ich schon nachdenklich geworden war. Die Erzählungen dieser Person paßten genau in das Bild, das ich mir von der Malerin gemacht hatte. Allerdings verstand ich nicht, weshalb sie sich gerade die Familie Sanchez ausgesucht hatte.
Gut, sie stammten aus Spanien. Auch Cynthia war Spanierin. Zwar mit einem ungewöhnlichen Namen für dieses Land, aber sie zählte dazu. Da konnte es eine Verbindung geben, die möglicherweise ihren Ursprung in der
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