0843 - Tunnel der hungrigen Leichen
ob.«
Sie brachte uns bis zur Tür. Ich bedankte mich mit zwei Küssen auf ihre Wangen und versprach ihr, die Blumen später nachzureichen.
»Welche Blumen denn?«
»Normalerweise bringe ich immer ein Gastgeschenk mit, wenn ich irgendwo eingeladen werde. Aber heute ist eben einiges quer gelaufen, ich bin dazu nicht mehr gekommen.«
Im Hausflur wartete ich auf Suko. Die Umgebung hatte sich nicht verändert. Es war wie immer. Das schwache Licht hatte nur die Kraft einer Notbeleuchtung und streute milchig gelb an die verschiedenen Stellen. Im Haus war eine relative Ruhe eingekehrt, auch wenn die beiden Fahrstühle unterwegs waren, was ich an den erleuchteten Zahlen auf der Metalleiste sah.
Ich betrat meine Wohnung und wartete auf Suko. Er kam und schaute sich sofort suchend um.
»Es hat sich nichts verändert«, meldete ich. »Still und starr ruht der See.«
»Bist du davon überzeugt, daß es so bleibt?«
»Nein«, antwortete ich.
***
Seine fünf Freunde hatte Eric böse angeschaut, sich aber scharfer Kommentare enthalten, als die Polizei das Boot von zwei Seiten einkesselte. Sie waren vom Wasser gekommen und von der schmalen Straße her. Trotz der frühen Morgenstunde hatten sich Neugierige versammelt. Sie trotzten der Kälte und glotzten auf das Deck, obwohl keiner von ihnen die Leiche sah. Der Körper war hinter den Aufbauten verborgen.
Eric stand da und fror. Er hatte die Hände in den Taschen seiner Jeans vergraben, den Kragen der Jacke hochgestellt und spürte den Wind wie ein nasses Ledertuch gegen sein Gesicht fahren. Er wollte sich nicht umdrehen und noch einen Blick auf die Leiche werfen. Was er gesehen hatte, reichte ihm. Dieser Anblick hatte schwer an seiner Psyche gekratzt. Er würde ihn so schnell nicht vergessen und ärgerte sich im Nachhinein, daß er den Toten überhaupt an Deck geholt hatte. Jetzt stand er da und fror, starrte auf das schmutzige Wasser, in das er schon hineingebrochen hatte.
Der Chef dieser Bullen war ein Kommissar und hieß van Steen. Ein bulliger Mann mit hellblonden, sehr kurz geschnittenen Haaren, die einen Stich ins Rötliche bekommen hatten. Der Typ hatte ausgesehen, als könnte er einiges vertragen. Allerdings hatte ihn der Anblick des Toten ebenfalls erschüttert, und auch von seinen Leuten hatten sich einige übergeben müssen.
Eric war kein Polizist, er konnte sich dennoch vorstellen, daß es schwer werden würde, diesen Toten überhaupt zu identifizieren. Aber das war nicht sein Job, darum sollten sich die Bullen kümmern, die hoffentlich bald das Boot verließen.
Immer mehr Gaffer sammelten sich an. Die Leute sprachen leise miteinander. Keiner wußte so recht, was los war. Es kam relativ häufig vor, daß aus einer Gracht eine Leiche geborgen wurde. Die Leute wunderten sich nur über die Anzahl der Polizisten, die am Fundort erschienen waren. Deshalb blieben viele, um mitzubekommen, ob da nicht doch eine kleine Sensation in der Luft lag.
Eric hörte Schritte hinter sich. Er drehte sich trotzdem nicht um. Die Laute verstummten. Dann vernahm er die Stimme des Kommissars. »Sie können sich jetzt normal hinstellen, wir haben den Toten in einen Plastiksack gesteckt, Eric.«
»Ja und?«
»Ich möchte mit Ihnen sprechen.«
Aber ich nicht mit dir, dachte Eric. Es blieb bei dem Gedanken, den er nicht aussprach, weil er den Kommissar nicht verärgern wollte. Noch immer leicht zitternd wandte er sich um.
Van Steen stand vor ihm wie ein Denkmal auf zwei Beinen. Er trug einen langen, blauen Mantel, der innen gefüttert war, doch das Kleidungsstück paßte nicht so recht zu dieser Erscheinung. Das Tuch war zu elegant und der weiße Schal ebenfalls. Ein kantiger Kopf, eine blasse Haut, die an einigen Stellen leicht bläulich schimmerte, weil es auch dem Kommissar ziemlich kalt war.
»Sie kannten den Mann?«
Eric verzog das Gesicht. »Wie sollte ich denn bei dem noch was erkennen, so wie er aussah?«
»Hätte ja sein können.«
»Wie kommen Sie überhaupt darauf?«
Van Steen hob die Schultern. »Der Tote wurde von Ihnen aus einer Gracht gefischt. Wie oft erleben wir, daß Leichen angeschwemmt werden oder in den Kanälen treiben. Natürlich sind die meisten nicht so zerstückelt, falls sie nicht in eine Schiffsschraube geraten sind. Aber dieser Tote hier sah ja noch schlimmer aus. Aus Erfahrung ist uns bekannt, daß die angeschwemmten Leichen früher, als die Menschen noch lebten, auf den umherliegenden Booten gewohnt haben. Ihnen brauche ich nicht zu erzählen,
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