0843 - Tunnel der hungrigen Leichen
glatt, die Augen ebenfalls noch vorhanden, doch sie wirkten auf mich wie Kugeln, die jemand falsch herum in die Augenhöhlen gedreht hatte.
Der rechte Arm lag nicht ganz auf dem Boden, er war halb erhoben, die Hand war ausgestreckt und zugleich gespreizt, als wollte sie im nächsten Augenblick nach irgendeinem Gegenstand fassen und diesen zu sich heranziehen. Ich wollte nicht die Beute sein, baute mich an den Füßen des Toten auf und merkte, daß sich erst jetzt mein klopfender Herzschlag beruhigte und ich wieder normal denken konnte.
Diese ungewöhnliche Leiche war weder von der Decke, noch vom Himmel gefallen. Wo kam sie her?
Selbstverständlich brachte ich ihr Erscheinen in einen Zusammenhang mit den beiden geisterhaften Besuchern, die mich schon zweimal kontaktiert hatten, und ich suchte auch nach Zusammenhängen zwischen den beiden doch so verschiedenen Tatsachen.
Weder die Frau noch der Mann zeigten sich. Sie ließen mich mit diesem Rätsel allein.
War dieses Geschöpf tatsächlich tot, oder lag hier ein untotes, zombiehaftes Wesen vor mir?
Ich suchte nach einem Hinweis. Das konnte ein Einschußloch sein oder eine Messerwunde, aber nichts dergleichen zeichnete sich auf der glatten und trotzdem rindenhaften Haut ab.
Ich kam mit dieser Existenz nicht zurecht. So etwas wie ein humoriger Gedanke stieg in mir hoch.
Da hatte mir jemand ein Wesen in die Wohnung gelegt und mir die Last mit der Entsorgung überlassen.
Ich bückte mich und zog gleichzeitig die Kette, an der mein Kreuz hing, über den Kopf. Es baumelte nach unten, pendelte dicht über dem breiten Schädel des seltsamen Toten, und einen Augenblick später kam es zum ersten Kontakt.
Ich zuckte zurück, als ich das Zischen hörte. Damit hatte ich nicht gerechnet. Stinkender Dampf quoll mir entgegen. Der gesamte Körper zog sich zusammen, als bestünde er aus schwerem Gummi, die Hände bewegten sich krampfhaft, die Füße ebenfalls, und Finger als auch Zehen rollten sich dabei auf.
Dabei verloren sie ihre Härte und Widerstandskraft. Zurück blieb - wie so oft - Asche.
Braune Asche, die ich zusammenfegen und dann in den Mülleimer werfen mußte.
Ich richtete mich wieder auf und schüttelte den Kopf. Schlauer war ich nicht geworden. Auskunft hätten mir nur die beiden geheimnisvollen Kämpfer geben können, aber die hielten sich wohlweislich zurück. Ausgerechnet jetzt wo ich sie gebraucht hätte.
Mir war schon seltsam zumute. Meine eigene Wohnung kam mir ein wenig fremd vor. Es konnte auch an den seltsamen Umständen liegen, mit denen ich nicht zurechtkam. Ich fühlte mich in gewisser Hinsicht auf den Arm genommen, aber das alles hatte nichts zu sagen. Dieser seltsame Tote war nicht grundlos in meine Wohnung gelegt worden. Man wollte mich auf etwas hinweisen oder vorbereiten.
Ich fegte die Asche tatsächlich zusammen und spülte sie in der Toilette weg.
Als sich das Telefon meldete, wußte ich sofort, daß es nur Suko sein konnte.
Und richtig. »Wo bleibst du denn?« meckerte er mich an.
»Ich habe gerade etwas entsorgen müssen.«
»Ha, wie schön. Was denn?«
»Eine Leiche.« Die Antwort konnte ich mir einfach nicht verkneifen, und sie machte Suko sprachlos. Zunächst wenigstens, dann aber fragte er: »Was hast du da gesagt?«
Ich wiederholte es.
»Nur so eben - oder?«
»Hast du sie mitgebracht? Soll ich kommen, willst du sie noch kurz zeigen?«
»Nein, sie ist ja weg.«
»Dann hast du sie aus dem Fenster geworfen?« Er glaubte mir noch immer nicht und hielt mich schließlich für verrückt, als ich ihm sagte, was ich tatsächlich mit dem Toten angestellt hatte.
»Aber etwas essen willst du doch noch - oder?«
»Ja, ich bin gleich bei euch.«
Dieses Versprechen hielt ich. Suko öffnete mir die Tür. Er schaute mich an wie ein Nervenarzt seinen Patienten. Dann legte er mir die Hand auf die Stirn.
»He, was soll das?«
»Ich will nur feststellen, ob du Fieber hast.«
»Bestimmt nicht.«
»Na ja, wer Leichen entsorgt…«
»Das ist kein Spaß, Alter.« Ich drückte mich an ihm vorbei und schloß die Tür.
Suko sah es meinem Gesicht an, wie ernst es mir war, nickte und meinte dann: »Ich schätze, wir haben beim Essen genügend Gesprächsstoff, oder nicht?«
»Lieber nachher.«
»Auch gut.«
Im Wohnzimmer wartete Shao. Sie strahlte mich an. Seit sie wieder in London war, ging es ihr viel besser. Sie fühlte sich wohl, sie war aufgeblüht und auch die Sonnengöttin Amaterasu hatte ihre Dienste nicht mehr in Anspruch
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