085 - Flitterwochen mit dem Tod
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Mitten auf der runden Rasenfläche des Barockgartens blieben sie stehen.
Er packte Claire an den Schultern und sagte leise und heiser: „Ich will dich küssen. Das Schicksal hat uns diese Nacht geschenkt."
„Ja", flüsterte sie. „Küsse mich, Rogier!"
Er küßte sie. Seine rasende Gier erwachte, aber noch konnte er sich beherrschen. Seine Hände glitten über ihren schlanken, wohlgerundeten Körper. Unter dem dünnen Stoff des Kleides spürte er die Haut. Darunter pulsierte warmes, dampfendes Blut. In wenigen Minuten würde er es trinken, jenen Saft, der köstlicher als der beste Sekt und roter als der teuerste Jahrgang des ältesten Rotweines war; und er würde die Lebensenergie dieses leidenschaftlichen Körpers in sich aufsaugen. Er brauchte diese Energie, die ihn über Jahrhunderte hinweg am Leben erhalten hatte.
Es wurde ein endloser Kuß. Schon jetzt strömte etwas aus diesem Körper, der sich an ihn drängte, auf seinen Organismus über. Bisher hatte Claire die Initiative ergriffen.
„Dein Kuß verspricht mehr als Leidenschaft", keuchte er.
Claire gurrte tief und erwiderte ebenso atemlos: „Ich verspreche nicht nur, ich halte sie auch."
Sie legten die Arme umeinander und gingen langsam weiter. Der Körper neben ihm erregte ihn. Das Warten war aufregend. Diese kurze Zeit zwischen der ersten Berührung und dem Augenblick, in dem das wehrlose Opfer begriff, daß es sterben mußte, war mit das Erregendste.
Ihre Schuhe hinterließen eine schmale Spur in dem feuchten Gras. Mit jedem Schritt wurde die Musik aus dem Schlößchen leiser und mehr und mehr zur Kulisse seiner wüsten Gedanken.
Endlich waren sie an der Bank angelangt. Sie setzten sich.
„Eigentlich sollte ich über Romantik erhaben sein", gab Claire zu.
Sie drehte sich halb um und legte sich auf den Rücken. Ihren Kopf mit den hellbraun und aschgrau gefärbten Haaren bettete sie in seinen Schoß.
„Aber es ist wirklich zu romantisch! Sieh nur den Mond! Und dort die echten Fledermäuse! Hat Kern extra für uns diesen Abend gemietet, mein junger Geliebter."
Er beugte sich über sie und küßte sie wieder. Dabei schob er eine Hand unter ihr Kleid. Ihre Lippen und die kleinen, scharfen Zähne glitten über sein Gesicht. Zitternde Finger streiften seine Jacke zurück. Vor Leidenschaft aufstöhnend, biß Claire ihn tief in die Schulter.
Er spürte den Biß, aber in seiner Raserei konnte er keinen Schmerz fühlen. Seine Lippen suchten den Hals der Frau.
Als seine Zähne sich in ihre Haut bohrten, hatte er zum erstenmal eine Art Schwächanfall, und er spürte die Lähmung, die von seiner Schulter ausging und seinen ganzen Körper befiel. Aber er dachte nicht weiter darüber nach. Er genoß den Augenblick. Auf den Lippen hatte er den Geschmack süßen Blutes …
Süßes Blut?
Als er seine Zunge nach vorn schob, hörte das leidenschaftliche Stöhnen der Frau unter ihm auf. Sie lag jetzt ganz still. Ihre Finger, die eben noch versucht hatten, die Geheimnisse seines Körper auszukundschaften, waren erstarrt.
„Nein!" röchelte Rogier auf.
Sein Kopf zuckte zurück und schlug krachend gegen die Lehne der Bank.
Das Blut war nicht süß. Seine Zungenspitze brannte. Säure oder Gift? Oder … Nein! Die Vorstellung war zu gräßlich und zu abwegig.
Die zweite Schmerzenswoge tobte durch seinen Körper. Die Zunge wurde gefühllos. Ein beklemmender Druck lastete auf seiner Brust und drohte, ihm die Luft abzuschnüren.
„Nun?" fragte Claire ruhig und mit einer Stimme, die zwar noch immer dunkel und aufreizend war, aber ihn zugleich tödlich erschreckte. „Merkst du schon, daß es mein Todeskuß war?"
Mit schwindenden Sinnen stammelte er: „Du…Wer - bist - du?"
„Finde es heraus! Es bleibt dir noch genügend Zeit, Liebster."
Ein schmaler Streifen Mondlicht fiel auf die Mitte der Bank. Während die Zunge, das Zahnfleisch und die Schulter höllisch zu schmerzen begannen, sah Rogier, wie sich das Gesicht der Frau veränderte. Das Haar begann sich zu verfärben; es wurde stumpf und fahl und fiel in fingerdicken Strähnen aus. Die einzelnen Büschel bewegten sich wie kleine Schlangen und krochen durch das Gras davon. Die Haut des Gesichtes zerplatzte, wurde zu einem Mosaik grüner und augenblicklich abblätternder Schuppen. Die Verwandlung dehnte sich auf den Hals, die Brüste und die bloßen Arme aus.
„Ein Untoter! Ein Wiedergänger! Du bist gekommen, um mich zu verderben", lallte Rogier mit steifer Zunge und
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