0850 - Rache aus der Totenkammer
mir glauben.«
»Ich glaube ungern etwas. Ich weiß lieber gewisse Dinge.«
»Sie stehen noch nicht fest.«
»Dann klären Sie die Verhältnisse. Ich sehe Ihnen an, daß Sie in der Zwickmühle sitzen. Sie brauchen mich, sonst hätte sich nicht ein Mensch wie Sie dazu herabgelassen, mich zu besuchen. Sie wollen etwas von mir. Ich soll Ihnen helfen. Möglicherweise bin ich dazu bereit, wenn der Preis stimmt. Was Ihre viertausend Mark angeht, so können Sie das Geld vergessen. Mir geht es um andere Dinge, um ganz andere. Ich lasse mir nicht gern meine Ehre nehmen, denn nicht nur ich weiß, daß ich unschuldig bin. Es gibt einen Freund in London, der ebenfalls davon überzeugt ist, und dieser Mann ist nicht irgendwer, sondern ein Kollege, ein ehemaliger.«
»John Sinclair.«
»Bravo, Sie sind gut informiert.«
»Wir sind ja auch bereit, alles noch einmal zu überdenken, wenn Sie uns jetzt helfen.«
»Geben Sie mir das schriftlich?«
»Das kann ich nicht!«
Harry schüttelte den Kopf. »Dann ist mit mir nichts zu machen. Ich lebe nicht in der Gosse. Ich brauche Ihre Brosamen nicht. Sie können es sich überlegen.« Harry schaute auf die Uhr. »Sagen wir so. Ich bin heute abend in meiner Wohnung. Sie können gegen neunzehn Uhr dort erscheinen und mir ihre Bedingungen offenlegen. Sollten Sie mir gefallen, steige ich ein. Ansonsten vergessen Sie mich, Herr Schmidt.«
Der Mann überlegte. »Sie sind ein verflucht harter Knochen, Herr Stahl.«
»Das hat man mir früher auch schon nachgesagt.«
Schmidt leerte seine Tasse und stellte sie hörbar ab. »Also gut«, sagte er, »ich werde mich bemühen und versuche, gegen neunzehn Uhr bei Ihnen zu sein.«
»Das ist nett.«
Gregor Schmidt winkte dem Wirt zu. Er zahlte auch Harrys Kaffee mit, stand auf, nahm seinen Hut und ging zur Tür. Der Wirt war neben Harry stehengeblieben. »Himmel, Kommissar, wer ist das denn gewesen?«
Stahl grinste. »Möglicherweise meine Chance. Möglicherweise seine Chance.«
»Tatsächlich?« Erich schaute staunend auf den Kopf des ehemaligen Kommissars herab.
»Ja, mein Lieber. Noch ist nichts entschieden. Ich denke, daß der Abend sehr interessant werden wird.« Harry erhob sich und schlug dem Wirt auf die Schulter. »Jetzt brauche ich auch einen Schnaps, aber einen Doppelten, und ich möchte, daß Sie einen mittrinken.«
Erich lachte. »Wenn das so ist, sage ich natürlich nicht nein.«
Beide gingen zur Theke. Harry versonnen lächelnd. Zum erstenmal seit langer Zeit hatte er das Gefühl, daß es wieder aufwärts ging…
***
Egon Kraft war ein Mensch, der schon mit dreißig Jahren eine Glatze zur Schau getragen hatte. Nicht weil es ihm Spaß gemacht hätte, gegen seinen Haarausfall hatte es kein Mittel gegeben. Zuerst war er sauer darüber gewesen, hatte sich über die Hänseleien seiner Kollegen geärgert, doch später war die Glatze zu seinem Markenzeichen geworden, denn da wurde er nur die »Glatze« genannt.
Dieser Name hatte im Zuchthaus einen Ruf wie Donnerhall gehabt. Egon Kraft war der eigentliche Chef im Haus X gewesen, zumindest was den Bunker anging. Dort hatte er geherrscht. Da gab es nur sein Gesetz, und nach seinen Befehlen richtete sich jeder.
Kraft war ein launischer Mensch. Auch schon damals war das so gewesen. Oft hatte er schlechte Laune, und die hatte er dann an den Gefangenen ausgelassen. Auf sein Konto gingen einige der Todesfälle, was ihn aber nicht weiter gestört hatte. Diese Leute waren Staatsfeinde gewesen, und er hatte sie so behandeln müssen.
Egon war zu einem Synonym des Schreckens geworden, und er hatte es wahrlich ausgekostet, besonders bei den Frauen. Was er mit ihnen gemacht und was er ihnen angetan hatte, darüber wurde geschwiegen. Man wagte nicht einmal das Thema flüsternd anzuschneiden.
Dann war die Wende gekommen, und auch für einen Menschen wie Egon Kraft waren neue Zeiten angebrochen. Er wußte, was ihm blühte, wenn seine Taten ans Tageslicht kamen, aber er hatte Glück gehabt. Es war ihm gelungen, sich abzusetzen. Die Scheidung hatte seine Frau schon länger eingereicht gehabt, und Kraft lebte allein.
Er fand einen neuen Job. Eine Arbeit, die gar nichts mit der vorherigen zu tun hatte. Er war Auslieferungsfahrer für einen Blumengroßhändler geworden. Einen Mann, den Kraft noch von früher her kannte und der als perfekter Wendehals bezeichnet werden konnte.
Er hatte es verstanden, sich aus allem herauszuwinden, sogar die Treuhand war ihm auf den Leim gegangen, aber er wußte
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