0851 - Wir jagten das bleiche Gesicht
gehen.
Er schritt in das Dunkel hinein. Wenn er den Gang weiter durchschritt, würde er an die Tür zur Waschküche gelangen. Das war überhaupt die Idee oder Lösung. Er konnte sich leicht vorstellen, daß sich Rita Reinold dort aufhielt.
Von diesem Gedanken beflügelt, ging er noch einen weiteren Schritt vor, hielt dann inne, weil ihn seine eigene Vorsicht warnte. Er durfte sich nicht zu weit von seinen Freunden entfernen.
Der Gedanke war zu spät gekommen.
Etwas schwappte ihm wie ein Eisnebel entgegen, und er hatte den Eindruck, selbst zu Eis zu werden.
Vor ihm, zum Greifen nahe, stand Rita Reinold. Und er spürte die Aura des Todes, die sie ihm entgegenschickte…
***
Was tun?
Die eine Frage schrillte in seinem Kopf. Sie machte ihn durcheinander. Sie war wie eine Säge, die all seine normalen Gedanken brutal zerreißen oder zerteilen wollte.
Mit diesem unerwarteten Auftritt hatte er nicht gerechnet, obwohl er innerlich darauf hätte vorbereitet sein müssen, aber plötzlich war sie da, und sie starrte ihn an.
Beide waren ungefähr gleich groß.
Beide schauten sich in die Augen.
Harry hatte Mühe, ruhig zu bleiben. Er sah das Gesicht, das so gar nicht zu diesem anderen Körper paßte, denn es sah sehr lebendig und lebensecht aus. Der Körper war im Gegensatz dazu ein bleiches Etwas, bedeckt mit einem totenhemdähnlichen Kleid, aus dessen Lücken die weißbleiche Gestalt hervorragte.
Um sie herum zitterte der ätherische Nebel wie ein dünner Schaumfilm, und die eisige Kälte, die von ihr ausging, lähmte den Detektiv. Er entdeckte diese Kälte auch in einer anderen Form in den Augen und fand dafür den korrekten Begriff.
Gnadenlosigkeit!
Ja, sie war ohne Gnade, und sie war noch nicht satt. Sie wollte und würde sich ein weiteres Opfer holen, wenn er nicht schnell genug reagierte.
Plötzlich waren die Balken gefallen. Er war wieder in der Lage nachzudenken und auch zu folgern, aber das brachte ihm nichts mehr, denn Rita reagierte schneller.
Wahrscheinlich war sie in der Lage gewesen, seine Gedanken zu lesen. Bis auf das Gesicht hob sich ihr gesamter Körper an und befand sich noch in der Bewegung, als er sich schon veränderte. Er verwandelte sich in einen dünnen Strahl oder geisterhaften Nebelstreifen, der mit perfekter Sicherheit sein Ziel traf.
Es war Harrys Mund!
Zuerst drückte er gegen seine Lippen. Der Detektiv spürte so etwas wie einen Aufprall, dem er nichts entgegensetzen konnte, denn er öffnete automatisch die Lippen.
Das hatte Rita gewollt.
Blitzartig huschte sie in den Mann hinein!
***
Suko hörte zu, wie sein Freund John Sinclair mit den fünf Veränderten sprach und einsehen mußte, daß er gegen eine Wand redete, denn sie gaben ihm keine Antwort.
Er wollte ihm und Harry nahelegen, daß es keinen Sinn hatte, und sie sich besser um Rita Reinold kümmerten, aber wo steckte dieser verfluchte Detektiv?
In der großen Dusche war er nicht mehr, sonst wäre er irgendwann in dem sich bewegenden Strahl erschienen.
War er nach draußen gegangen?
Suko sah dies als einzig plausible Möglichkeit an und drehte sich ebenfalls um.
Er hatte es bis zum Ausgang etwas weiter als Harry vorhin. Eine innere Stimme trieb ihn an, und er beeilte sich, in den Gang zu gelangen. Zuerst die Drehung nach links.
Da war nichts.
Dann die andere Seite.
Im selben Augenblick hatte Suko das Gefühl, selbst zu Eis zu werden. Er sah einen Harry Stahl, der so wirkte, als hätte ihn eine Riesenhand gegen eine Wand gepreßt. Das Licht der Lampe beleuchtete ihn, wie er die Arme ausgestreckt hatte, als wollte er sich mit den Fingern in den Gesteinsritzen festklammern und nie mehr loslassen.
Am schlimmsten sah sein Gesicht aus. Weit aufgerissen war der Mund, und dicht an seinen Lippen sah Suko so etwas wie einen schaumigen Nebel zittern. Er wußte Bescheid, und er wußte auch, daß es allerhöchste Eisenbahn war.
»John!« brüllte er. »Komm her!«
***
Sukos Stimme zerstörte mir beinahe das Trommelfell. Ich hatte ihn selten so schreien hören. Und er hatte auch nicht in der Dusche gerufen, sondern draußen im Gang, wo es lichterloh brennen mußte.
Ich zögerte nicht eine Sekunde. Als hätte ich einen Schlag bekommen, so wirbelte ich herum, sprang auf die Tür zu und rutschte förmlich in den alten Bunkergang hinein.
Ich prallte vor die gegenüberliegende Wand und sah Suko vor mir stehen, die Lampe dabei auf den Detektiv Harry Stahl gerichtet, der sich nicht bewegen konnte.
»Sie steckt in ihm,
Weitere Kostenlose Bücher