0851 - Wir jagten das bleiche Gesicht
Raum!
Das heißt, wir blieben zunächst dicht an der Tür stehen, und zwei Lampenstrahlen geisterten durch die Dusche, die mir zumindest vorkam wie ein feuchtes, kaltes Grab.
Rita Reinold entdeckten wir nicht. Dafür aber fuhren die langen Lichtarme wie helle Speere in die Dunkelheit hinein und trafen die Gesichter der kleinen Menschen, die einmal hier die Macht gehabt hatten. Fünf zählten wir, ein sechster lag am Boden. Was wir sahen, war kaum zu beschreiben, denn diese Menschen hatten die Hälfte ihrer Größe verloren. Man hatte ihnen Leben ausgesaugt, sie aber trotzdem noch am Leben gelassen, was einer schlimmeren Bestrafung gleichkam als eine Hinrichtung.
Rita Reinold.
Ein Jenseitswesen, das hier in dieser Dusche gewesen sein mußte, jetzt aber nicht mehr da war. Zumindest geriet es nicht in die Strahlen der Lampen.
Es war still bei unserem Eintritt geworden. Keiner sprach ein Wort. Man starrte uns an und ich merkte, daß sich auf meiner Brust etwas tat. Mein Kreuz warnte mich. Es gab Wärme ab, denn es spürte den mächtigen Gegner.
Ich hatte meinen Freunden Platz geschaffen, und auch sie waren in die Dusche getreten.
»Mein Gott, das ist nicht wahr!« keuchte Harry Stahl. »Das ist ja grauenhaft.« Er ging auf die kleinen Menschen zu, die aber vor ihm zurückwichen, als sei er ein Aussätziger.
»Sie ist nicht hier, John!«
Ich hatte Sukos Stimme gehört und drehte mich um. »Ja, aber sie war vor kurzem hier.«
»Ich werde die anderen mal fragen.« Er blieb dicht vor den Veränderten stehen und schaute auf sie nieder.
Sie hatten die Köpfe angehoben. Daß ihre Gesichter einen unbeschreiblichen Ausdruck zeigten, dafür konnten sie nichts. Aber auch in ihrem Innern waren sie auf Abwehr eingestellt, denn sie beantworteten Sukos Fragen mit Beschimpfungen und zischenden Flüchen.
»Da kann man nichts machen, John.«
Ich war neben dem am Boden liegenden Mann stehengeblieben und hatte einfach das Gefühl, Fink vor mir liegen zu haben. Ich fragte ihn. »Albert Fink?«
Er lag auf dem Bauch. Sein Körper zuckte, ich sah es anhand der Kleidung, dann gab er einen jaulenden Laut von sich, der sowohl Zustimmung als auch Ablehnung bedeuten konnte.
Von ihm würde ich kaum etwas in Erfahrung bringen können. Er war noch zu frisch. Dieser Mann hatte sich mit seinem Schicksal nicht abfinden können, aber würde es müssen, und wie es dann weiterging, später, das war die Frage. Die Antwort interessierte auch die anderen fünf Veränderten.
Sie befanden sich schon länger in diesem Zustand. Von ihnen erhoffte ich mir auch Antworten, deshalb ließ ich Albert Fink in Ruhe und wandte mich seinen Artgenossen zu.
Ich ging ihnen entgegen und mußte meine Lampe etwas senken, um in ihre Gesichter schauen zu können. Sie blinzelten, als der helle Strahl sie erwischte, das aber war alles.
»Wo ist Rita Reinold?«
Meine Frage war laut, deutlich und hörbar gesprochen worden, aber diese fünf Menschen dachten gar nicht daran, mir eine Antwort zu geben. Kalt schauten sie mich an.
Hinter mir bewegten sich Suko und Harry. Wahrscheinlich schauten sie jetzt in jeder Ecke nach, denn ich sah Sukos Lampenstrahl aus den Augenwinkeln, wie er über den Boden huschte.
Auch Harry wollte natürlich Bescheid wissen. Ohne von uns bemerkt worden zu sein, hatte er sich zurückgezogen. Er brauchte nur zwei Schritte nach hinten zu gehen, um durch die offene Tür den Gang zu erreichen.
Dort blieb er stehen.
Er ärgerte sich darüber, keine Lampe bei sich zu haben. Zwar stand die Tür auf, aber das sich bewegende Licht der beiden Leuchten konzentrierte sich mehr auf die Dusche. Nur hin und wieder huschte ein heller Reflex in seine Nähe.
Rita Reinold!
Immer wieder kreisten seine Gedanken nur um diesen einen verfluchten Namen. Sie war aus dem Jenseits zurückgekehrt, um Rache zu üben, und davon würde sie auch Harry mit seinen beiden Freunden nicht abhalten können. Sie war sich ihrer Macht bewußt, und Geister waren immer stärker als normale Menschen.
Deshalb ging der Detektiv auch davon aus, daß sie sich nicht zurückgezogen hatte, sondern in diesem Bunker im wahrsten Sinne des Wortes noch umhergeisterte.
Aber wo?
Für Harry hatte es keinen Sinn, darüber nachzudenken. Er würde Taten folgen lassen, und er bewegte sich auf leisen Sohlen voran.
Der Mann konnte sich durchaus vorstellen, daß sich ein Geist wie diese Rita Reinold im Hintergrund hielt, um anschließend geschickter wieder nach vorn zu tauchen und in die Offensive zu
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