0851 - Wir jagten das bleiche Gesicht
John!«
Worte wie Peitschenschläge, die mich noch einmal in Form brachten. Es gab wirklich nur eine Chance, um ihn zu retten. Mein Kreuz hatte sich erwärmt, es wollte kämpfen, hatte bisher noch nicht die Chance dazu bekommen.
Das änderte sich.
Ich zerrte die Kette so hastig über meinen Kopf, daß sie beinahe gerissen wäre. Dann sprang ich auf diese regungslose Männergestalt zu, geriet in den Schein der Lampe und sah auch das Weiße vor den Lippen meines Freundes.
Ich drückte das Kreuz auf seinen Mund.
Dabei hörte ich ein Geräusch, das nicht er abgegeben hatte. Es mußte tief aus seinem Körper – dem Magen? – geklungen sein, doch das alles war jetzt egal.
Ich wollte Harry retten.
Er brach zusammen.
Es ging so schnell, daß ich nicht zugreifen konnte, aber der Detektiv blieb nicht auf dem Boden liegen. Er kniete sich hin, und um seine Gestalt herum verteilten sich Blitze, die auch in ihn eindrangen.
Diese Blitze hatte mein Kreuz abgegeben, als es direkt mit dieser anderen Magie konfrontiert worden war, und ich sah noch mehr.
Zuerst schüttelte sich der auf dem Boden kniende Harry Stahl.
Seinen Mund hatte er so weit geöffnet wie kaum zuvor. Wir hörten ihn würgen. Es waren normale Geräusche, die auch entstanden, wenn sich ein Mensch übergeben mußte.
Er übergab sich. Er würgte das hervor, was einmal der feinstoffliche Leib dieser verfluchten Rita Reinold gewesen war.
Gaze oder Plasma.
Es sah aus wie dünner Schaum, aber das Zeug bestand nicht aus Seife. Es war eben dieses Ektoplasma, aus dem auch Rita Reinold bestanden haben mußte, nun aber durch die Magie meines Kreuzes verändert worden und kraftlos war.
Was da vor meinen Füßen auf den Boden klatschte, war harmlos.
Es hatte alle Macht verloren, und ich ließ den Mann würgen, weil ich auch sah, daß sich Suko um ihn kümmerte.
Ich hatte meinen Blick auf etwas anderes konzentriert. Harry hatte diesen Körper dieser Rita Reinold ausgewürgt. Jedoch nicht ihr Gesicht, denn das schwebte vor mir in der Luft, und ich konzentrierte mich darauf.
Es sah nicht mehr so aus wie noch vor wenigen Minuten. Da gab es keinen klaren Blick mehr. Die Augen erinnerten mehr an winzige, mit Schlamm gefüllte Teiche, und auch die Hautfarbe hatte sich verändert. Jegliche Bleichheit war verschwunden, sie sah jetzt grün aus, wie mit einer blassen Farbe bestrichen.
Ein altes Totengesicht, das vor meinen Augen hin- und hertanzte, als wäre es dabei, noch einmal die Kräfte zurückzuerobern, die es verlassen hatten.
»Rita…«
Ich wußte nicht, ob sie meine Stimme gehört hatte. Sie schien auch nicht mehr zu bemerkten, daß ich auf sie zukam, denn plötzlich hörte ich aus ihrem Mund ein häßliches Knacken und Knirschen. Da brachen Knochen und wurden gleichzeitig Sehnen zerrissen. Etwas anderes konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.
Ich brauchte auch nicht mehr einzugreifen. Mein Kreuz hatte seine Schuldigkeit getan und nicht nur den Körper vernichtet, das Gesicht folgte wenig später.
Die dünne Haut platzte weg. Sie verwandelte sich in eine Aschwolke, und ein widerlicher Geruch wehte mir entgegen, als wären stinkende Lumpen verbrannt worden.
Dann gab es Rita Reinold nicht mehr. Wir hatten ihren Totengeist vernichtet.
Ich drehte mich um.
Der Lampenstrahl erwischte Suko und Harry. Der Inspektor hatte es geschafft und den hustenden Detektiv auf die Beine gestellt. Er drückte ihn mit dem Rücken gegen die Wand, wo Harry einigermaßen Halt gefunden hatte.
Der Schweiß strömte über sein Gesicht. Speichel rann aus seinem Mund, aber kein Ektoplasma mehr.
»Alles klar?« fragte Suko.
»Nein.«
»Was ist noch?«
Ich deutete mit dem Daumen der rechten Hand hinter mich.
»Falls du es vergessen haben solltest, mein Lieber, aber da gibt es noch die Waschküche, und die möchte ich mir anschauen.«
»Die Fratze!«
»Genau sie.« Ich hatte genug erklärt und machte mich auf den Weg. Das Kreuz steckte ich nicht weg.
***
Sehr bald schon fiel der scharf konturierte Kegel des Lichtarms gegen ein Hindernis. Eine normale Tür, die einen grauen Anstrich zeigte und von außen durch einen Querhebel verriegelt werden konnte. Es waren nur wenige Schritte bis zum Ziel, und als ich vor der Tür stehenblieb, klopfte mein Herz schon schneller. Ich wußte nicht, was mich erwartete. Diese Berta Sahler hatte von einem Meister gesprochen, das allerdings war mir zu allgemein gewesen, denn dieser Ausdruck wurde einfach zu oft in diesem Genre
Weitere Kostenlose Bücher