0853 - Die vier aus der Totenwelt
die ersten Dunstinseln gebildet. Sie formten sich zu oft gespenstisch aussehenden Figuren und es hatte den Anschein, als würden sie sich an der Oberfläche festklammern.
»Das ist wie eine Offenbarung!« flüsterte Nelly, die Gils Hand umfaßt hielt. Sie nickte sich selbst zu und wiederholte den Satz. »Ja, wie eine Offenbarung.«
Gil runzelte nur die Stirn. »Sorry, aber was meinst du damit?«
»Weißt du das nicht?«
»Nein.«
»Ich will es anders ausdrücken. Da hat der See sein Inneres nach außen gekehrt.«
»Meinst du?« Als er anfing zu grinsen, war es mit der Romantik vorbei, und Nelly stieß ihm die freie Faust leicht in die Rippen. »Tut mir leid, aber mit dir kann man so etwas nicht erleben.«
»Wieso?«
»Hör auf.«
»Ja, und was ist jetzt mit unserer Fahrt?« fragte Jimmy.
»Wir brauchen nicht!« sagte Gil.
»Und ob wir fahren!« Beide Mädchen protestierten zugleich. »Es ist wunderbar auf dem See.« Helen sprach weiter. »Schaut euch nur an, wie ruhig die Oberfläche vor uns liegt. Da lädt uns das Wasser direkt ein, um darüber hin wegzugleiten. Ich jedenfalls habe mich auf diese Tour gefreut, wirklich.«
Gil seufzte. »Und wie weit sollen wir hinausrudern?«
»Bis zur Mitte.«
Er nickte. »Weiter hätte ich es auch nicht getan, verstehst du?«
»Keine Sorge. Wir wissen alle, daß du nicht eben zu den starken Männern zählst.«
»Ha, ha.«
Die beiden jungen Männer hatten das Boot bereits mit dem Bug in die auslaufenden Wellen geschoben. Auch die Paddel lagen bereit.
Es herrschte eine ungewöhnliche Stille an diesem frühen Abend. Die Natur schien den Atem anzuhalten. Jeder Schritt, den sie gingen, jedes Wort, das sie sprachen, all dies hörte sich doppelt so laut an wie sonst. Diese Stille war einfach anders, faßbar, wie Watte oder wie ein Gespinst. Und sie paßte zu diesem Gewässer, über das die Jungen ihren Blick gleiten ließen, als sie das aufgeblasene Boot ins Wasser schoben. Sie hatten Stiefel über ihre Füße gestreift, standen beide im seichten Uferwasser und warteten darauf, daß die Mädchen einstiegen.
Die bewegten sich vorsichtig. Sie waren keine geübten Bootsfahrer und mußten etwas balancieren, bevor sie sich auf die schmalen Ruderbänke setzten.
»Eng hier, wie?«
Helen grinste ihren Bruder an. »Ich weiß, was du denkst, Gil. Du willst nur, daß wir zustimmen und die Fahrt über den See abblasen. Aber den Gefallen tun wir dir nicht.«
»Das habe ich nicht gesagt.«
»Man merkt es dir aber an.«
»Irrtum, Schwester.«
»Hör auf, ich kenne dich länger und besser. Nein, nein, aber diesmal hast du dich geirrt. Wir ziehen es durch.«
»Festhalten!« rief Jimmy. Er schob das Schlauchboot an. Der Kiel rutschte über den Boden, der in unmittelbarer Ufernähe sehr glatt war. Die Steine waren feucht geworden, sie gaben dem Schlauchboot noch einen besseren Schub, die Wellen packten zu, bildeten kleine Schaumkämme, die das Boot umhuschten, dann war alles okay.
Sie schwammen und schaukelten, weil die beiden jungen Männer als letzte in das Schlauchboot geklettert waren, sich setzten und nach den Paddeln griffen.
»Seid vorsichtig!« warnte Helen. »Auf ein Bad am Abend können wir beide verzichten.«
»Der See ist aber sauber«, meinte Jimmy und stach das Paddel ein.
»Das wissen wir. Nur habe ich heute morgen schon geduscht. Und jetzt legt euch in die Riemen, Sklaven.« Sie deutete auf den kleinen Rucksack vor ihren Füßen. »Ihr wißt ja Bescheid. Zu essen und zu trinken gibt es erst am Ziel.«
»Was hast du denn eingepackt?« fragte Gil.
»Laß dich überraschen.«
»Bier auch?«
»Nur Saft.«
Gil Travers grinste breit. »Wenn es Gerstensaft ist, habe ich überhaupt nichts dagegen.«
»Säufer!« kommentierte Nelly.
Ihre Freundin nickte. »Ja, gib es ihm. Er hat es nicht anders verdient. Mein Bruder macht jede Stimmung kaputt. Ich an deiner Stelle würde es mir überlegen, Nelly, ob ich noch mit ihm gehen würde. Das ist ein richtiger Macho.«
»Klar.« Nelly lächelte. »Ich werde dir morgen meine Antwort geben.«
»Wunderbar.«
Das Gespräch zwischen ihnen schlief auch deshalb ein, weil die Jungen ebenfalls nichts mehr sagten. Sie hatten keine Lust mehr auf große Gespräche, außerdem mußten sie paddeln, und die großen Fachleute waren sie nicht. Es dauerte eine Weile, bis sie ihren Rhythmus gefunden hatten. Auf dem Wasser war es kühler als am Ufer.
Der Wind fiel von den weiter entfernt liegenden Bergen wie ein etwas kälterer Atemstoß
Weitere Kostenlose Bücher