0854 - Jäger der verlorenen Seelen
kaum eine Armlänge. Er huschte, auf sie zu und holte noch eine Jacke vom Haken.
Der alte Küster zog die Tür auf und streifte sich die Jacke über.
Vor dem Haus lag der Kies fein verteilt. Beinahe jeden zweiten Tag harkte McGeoff ihn, und er pflegte auch die Blumenbeete, die sich am Rande der Kiesfläche verteilten. Sommertulpen leuchteten in einem lachsfarbenen Rot.
Von Uliak war nichts zu hören, auch nichts zu sehen. Der alte Küster witterte wie ein Tier. Er wußte nicht, wie er sich diesen Killer vorzustellen hatte. War er ein Geist, sah er anders aus. Es war nicht leicht, sogar unmöglich, sich von ihm überhaupt ein Bild zu machen.
Die Tür war hinter ihm zugefallen. Ihn störte das leise Knirschen, als er durch den Kies ging. Er hatte das Gefühl, als wäre er selbst jenseits der Hecke mit dem Friedhof zu hören gewesen.
Die Hecke sah er auch von der Haustür aus. Und hinter ihr hörte er das Geräusch.
Es war ein schlimmes Kreischen und Schreien, dazwischen ein Fauchen. So verhielt sich kein Mensch.
Aber eine Katze.
McGeoffs Augen wurden feucht, als er sah, was da über die Hecke hinweggeworfen worden war. Ein dunkler, lebloser Körper mit einem langen Schwanz. Seine Katze, die nicht mehr lebte und als blutiges Bündel auf die Kiesfläche prallte.
Dundee McGeoff blieb stehen. Er starrte das Tier an, das in seinen letzten Zuckungen lag. Ihm wurde übel, aber ihm wurde auch klar, zu welchen Taten Uliak fähig war.
Erst die Katze, dann würde er kommen.
Das wußte der alte Küster, und dieses Wissen ließ ihn starten wie einen Schnelläufer. Plötzlich war der Platz vor der Haustür zu einem Ort der Angst für ihn geworden.
Er rannte, und er schaute sich auch nicht um. Deshalb konnte er auch die Gestalt nicht sehen, die über die Hecke kletterte und auf das kleine Haus zuging.
Ein Monstrum – halb Mensch und halb Skelett!
***
Ich kannte den Friedhof von Lauder zwar, hatte ihn aber nicht mehr so stark in der Erinnerung und wunderte mich vor allem, wie dicht in den letzten Jahren alles bewachsen war, wobei ich auch die Hecke mit einschloß, die den Friedhof umgab, und an der wir vorbeifuhren. Sie war so hoch geworden, daß wir aus dem Fahrzeug nicht darüber hinwegschauen konnten.
Wir hatten zunächst mit dem Gedanken gespielt, auch dem Pfarrer einen Besuch abzustatten. Mein Vater hatte davon abgeraten. Er kam mit dem neuen Mann nicht so gut aus. Er war ihm zu jung, vielleicht zu modern und hatte seiner Meinung nach zu den Dingen, um die wir uns kümmern mußten, keinen Draht.
Also hatten wir es bleiben lassen und waren direkt zum Haus des Küsters gefahren. Es profitierte von der Einsamkeit des Friedhofs, der zudem nicht weit von der größten Kirche des Ortes entfernt lag.
Es gab noch eine zweite, die aber war wesentlich kleiner und wurde auch nicht immer benutzt. Mein Vater fuhr diesmal. Schon bald knirschten die Reifen über den feinen Kies, und als der alte Herr auf die Bremse trat, schleuderte es ihn und mich in den Gurt.
»He, so plötzlich!«
»Schau dir das an, John!«
Ich sah im ersten Augenblick nicht, was er gemeint hatte, bis er mich auf den schwarzen Gegenstand hinwies, der vor uns lag. »Das ist eine Katze, John.«
»Aber eine Tote, Dad.«
»Genau.«
Ich stieg vor meinem Vater aus, und es war mir nicht sehr wohl dabei, denn normalerweise liegen keine toten Katzen oder tote Hunde im Weg.
Auch unter meinem Schuhen knirschten die Kieskörner. Ich schaute erst in die Runde, bevor ich auf den Kadaver zuschritt. Beobachtet wurden wir wohl nicht, aber diese Katze war nicht von einem natürlichen Gegner getötet worden. Man hatte sie regelrecht abgestochen oder zerfetzt.
»Wer tut das, John?« hörte ich meinen Vater mit schwerer Stimme fragen.
Ich hob die Schultern. Das Tier lag im Sonnenschein. Erste Fliegen umschwirrten bereits den Kadaver, sie aber störten mich nicht. Ich wollte ins Haus und sah, als ich den Kopf hob, direkt gegen die schmale Haustür, die eine Lücke in der ansonsten mit Efeu überrankten Mauer hinterlassen hatte.
Neben der Tür befand sich noch ein sehr schmales Fenster, durch das nur ein Kind hätte klettern können.
»Bleib du mal lieber zurück!« flüsterte ich meinem Vater zu.
»Rechnest du mit einem Angriff?«
Er bekam als Antwort von mir nur ein Schulterzucken, tat aber, was ich ihm geraten hatte.
Mein Ziel war die Haustür.
Sollte sie verschlossen sein, würden wir auf andere Art und Weise ins Innere gelangen, das stand für mich fest.
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