0854 - Jäger der verlorenen Seelen
Dann ging sie vor. Fred Wayne erwartete sie bereits. Er hatte einen Whisky getrunken, hielt das leere Glas in der Hand und schaute aus dem Fenster. Beide Waynes wußten Bescheid. Man hatte sie telefonisch informiert. Wenn Fred ehrlich gegen sich selbst war, so verstand er die Welt nicht mehr. Sein gesamtes Bild war auf den »Kopf gestellt« worden. Es lag nicht nur am Verschwinden der Kinder. Je mehr Zeit verstrichen war, um so rätselhafter präsentierte sich der Fall, aber die Hoffnung wuchs leider nicht.
Er begrüßte die Travers und erkundigte sich natürlich sofort nach dem Befinden des Freundes.
»Ich werde es überstehen, Fred«, erklärte Gordon mit einem gequälten Grinsen, bevor er sich hinsetzte und sein verletztes Bein dabei ausgestreckt hielt. »Ich darf es eben nicht zu stark belasten. Was mich nicht umbringt, macht mich härter.«
Wayne bot Drinks an.
Gordon war einem Whisky nicht abgeneigt, die Frauen tranken lieber Wasser. Obwohl die vier befreundet waren, hatte sich zwischen ihnen so etwas wie eine Mauer aufgebaut. Keiner wußte so recht, wie er beginnen sollte. Es schien auch so zu sein, als trauten sich die Waynes nicht, die entsprechenden Fragen zu stellen, so daß Gordon Travers selbst darauf zu sprechen kam.
»Eigentlich habe ich deine Worte nie so richtig ernst genommen, Alida. Jetzt muß ich sagen, daß sie stimmen. Auch mir sind die Kinder erschienen, wobei ich immer lächeln muß, wenn ich sie als Kinder bezeichne, aber das werden sie wohl immer bleiben. Ich habe sie gesehen, und ich habe sie gehört.« Er schüttelte den Kopf. »Geister, die auf eine ungewöhnliche Art und Weise sprechen können. Sie reden mit schrillen, flirrenden und hohen Stimmen. Ich hatte immer den Eindruck, als wäre jemand dabei, an einer Glasscheibe zu sägen.«
»So war es bei mir auch«, flüsterte Alida.
»Aber tot sind sie«, sagte Kate.
»Wirklich?«
»Ja, Alida. Auch wenn es dir schwerfällt, dies zu glauben. Sie sind uns erschienen. Ihre Geister haben keine Ruhe gefunden. Ich kenne die Zusammenhänge und Einzelheiten ja selbst nicht, aber wir müssen davon ausgehen, daß sie ihr Reich verlassen haben. Ich kann dir nicht sagen, welche Welt das ist. Es gibt wohl keine rationale Erklärung. Ich sage mir immer, daß bei ihrem Tod einiges nicht mit rechten Dingen zugegangen ist und sie deshalb diesen Druck spüren.«
»Das kann sein.«
»Aber wer ist der andere?« fragte Travers. »Dieser Mensch, der kein Mensch ist. Halb Gerippe und halb Mann. Ein Unhold, ein Monstrum. So etwas gibt es eigentlich nur im Film. Ich habe ihn gesehen. Ich habe gespürt, wie gefährlich er ist, aber ich bin mit seiner Existenz nicht zurechtgekommen. Was hat er mit unseren toten Kindern zu tun? In welch einem Zusammenhang steht er mit ihnen?«
Er hatte die Frage gestellt und wartete sicherlich auf eine Antwort.
Die aber konnte ihm keiner der anderen Personen geben. Sie saßen da und starrten ins Leere, bis Travers den Gesprächsfaden wieder aufnahm. »Gelogen oder eingebildet habe ich mir die Gestalt nicht. Es gibt sie. Der Sohn der Sinclairs hat sie ebenfalls gesehen und mich damit bestätigt. Sie ist also da, und sie hat mit unseren verschwundenen oder ertrunkenen Kindern zu tun. Was es war, kann ich nicht sagen. Mir haben mein Sohn und meine Tochter auch nichts darüber gesagt. Oder war es bei dir anders, Alida, als dich deine Kinder in der Nacht besuchten?«
»Nein, auch nicht.«
»Dann ist das Rätsel nicht kleiner geworden.«
Fred Wayne sagte: »Dieser John Sinclair ist also der Meinung, daß wir uns im Haus seiner Eltern treffen und dort bleiben sollen. Okay, jetzt sitzen wir hier zusammen. Was haltet ihr von dem Vorschlag?«
»Ich finde es gut, daß wir zusammen bleiben«, sagte Kate. »Zumindest mir gibt das ein Gefühl der gewissen Sicherheit. Dann weiß ich, daß ich nicht so allein bin.«
»Wie denkst du darüber, Alida?«
»Ich stimme Kate zu.«
»Und was ist mit dir, Gordon?«
Travers grinste. »Mich darfst du eigentlich nicht fragen, Fred. Ich bin ein Krüppel und kann froh sein, wenn man mich überhaupt akzeptiert, wie ich bin.«
»Das ist doch Unsinn«, widersprach Fred. »Um aber noch einmal darauf zurückzukommen. Sinclair wird das sicherlich nur vorgeschlagen haben, weil er der Ansicht ist, daß wir in Gefahr schweben. Er rechnet bestimmt damit, daß uns dieser Unhold auf seine Liste gesetzt hat. Da hat er sich eben einen möglichst sicheren Ort ausgesucht, kann ich mir
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