0855 - Kalis Würgertruppe
der nächsten Sekunde etwas tun. Es war zu spät die Beretta zu ziehen, zudem wäre mein Schußwinkel auch ungünstig gewesen, ich konnte nur darauf hoffen, daß dieser Rasani so reagierte, wie ich es mir wünschte.
»Weg mit der Waffe!« zischte ich.
Rasani erschrak.
Er schoß nicht.
Er fuhr herum, und im nächsten Augenblick überstürzten sich die Ereignisse…
***
Suko schwieg. Aber nicht, weil es nichts zu sagen gegeben hätte, die über den Schirm laufenden Bilder hatten ihn einfach erschüttert. Die Qualität entsprach nicht den europäischen Normen, aber die Aufnahmen zeigten doch, in welch einem Elend die Kinder steckten, die vor den Webstühlen auf langen Holzbänken hockten und arbeiteten, als wären sie nur noch Roboter.
Ihre Bewegungen waren immer gleich. Sie wirkten so stumpf, und selbst die schlechte Bildqualität ließ die dünnen, durch die Luft fliegenden Wollfäden erkennen. Diese Fäden drangen in die Münder und die Nasen der Kinder ein, sie würden sich im Laufe der Zeit in den Lungen festsetzen und sie verstopfen.
Es gab kein Kind – ob Junge oder Mädchen –, das normal aussah.
Die eigentlich jungen Gesichter waren alt geworden, und selbst die großen Kinderaugen wirkten stumpf. Da lag kein Glanz mehr in den Pupillen, alles war so deprimierend, und im Hintergrund hielten sich die Aufpasser auf, die darauf achteten, daß keines der arbeitenden Kinder auch nur eine kurze Pause einlegte.
Einige waren sehr müde. Sie hockten an den Rändern der langen Bank und schliefen im Sitzen. Zusammengekrümmt saßen sie da.
Diese Bilder machten Suko zornig. Sie ließen auch den Haß in ihm hochsteigen.
Daß es so etwas in dieser Welt noch gab! Aber in Asien liefen die Uhren eben anders. Die Kinder wurden aus den Dörfern mit dem Versprechen angelockt, daß es ihnen in der Fabrik bessergehen würde und sie sogar zum Unterhalt der Familie beitragen konnten. Oft genug erhielten sie jedoch nicht mal Lohn für die verfluchte Arbeit an den Webstühlen.
Suko hatte die Hände zu Fäusten geballt, ohne es richtig zu merken. Erst als die neben ihm sitzende Journalistin ihn anstieß, schrak er zusammen.
Carol drückte auf einen Knopf. Ein letztes Bild verschwand. Es war das traurige Gesicht eines Mädchens.
»Nun, was sagen Sie, Inspektor?«
»Nichts.«
Carol lächelte traurig. »Das kann ich mir denken. Es hat Ihnen die Sprache verschlagen.«
»Richtig. Ich habe wirklich nicht gewußt, daß es so grausam und menschenverachtend ist.« Er schüttelte den Kopf. »Es war gut, daß sich jemand gefunden hat, der diese Bilder einmal an die Öffentlichkeit bringt.«
»Das hat mich auch Mühe gekostet. Aber Sie können sich auch vorstellen, welch eine mächtige Lobby und Organisation dahintersteckt. Da verdienen sich Menschen goldene Nasen, und nicht nur in Indien, sondern auch hier in Europa. Dieser Adsam Rasani gehört nicht grundlos zu den sehr reichen Menschen. Er ist der mächtigste Importeur auf der Insel, aber in Germany oder Frankreich und Italien sitzen ebenfalls diese für mich widerlichen Geschäftsleute.«
»Ja, das habe ich mittlerweile mitbekommen.«
»Dann können Sie sich ungefähr vorstellen, welchen Aufwand es geben wird, wenn diese Bilder zur Hauptsendezeit über die TV-Schirme flackern. Man wird den Händlern, so hoffe ich, auf die Finger klopfen. Natürlich nicht von offizieller Seite, denke ich, dazu sind die Regierungsvertreter zu feige, aber es gibt genügend Initiativen, die sich einsetzen werden, denke ich mal.«
»Das hoffe ich auch.«
»Wollen Sie ihn sich weiterhin anschauen?«
»Was wird noch kommen?«
»Nun ja, nicht mehr so viele Bilder von arbeitenden Kindern. Ich habe dann versucht, die Umgebung zu erforschen. Ich wollte mich mit den Menschen unterhalten, die in den Dörfern lebten, aber ich erhielt keine Antworten. Man schwieg, man hatte Angst, und auch unser Team wurde bedroht.«
»Ging es bis zur Gewalt?«
»Fast.« Carol streckte die Beine aus. »Man hat einmal versucht, uns die Elektronik zu zerstören. Das ist nicht gelungen, wir konnten uns auch deshalb wehren, daß wir in der Nacht sicherheitshalber Wachen aufgestellt hatten.«
Suko nickte. »Was ich hier gesehen habe, entspricht einer Realität, die jeder begreifen kann. Mein Kollege John Sinclair und ich kämpfen aber gegen Feinde, die auf der anderen Seite stehen oder jenseits der Realität, die man sehen, hören oder fühlen kann. Ich denke da an Kali. Haben Sie bei Ihrem Besuch in Indien etwas von
Weitere Kostenlose Bücher