0856 - Leas Hexenladen
darüber, wie klar sie plötzlich denken konnte. Alles war wieder in Ordnung, ihre Psyche war okay, und trotzdem lag sie auf dem Boden und hatte den Kopf zur Seite gedreht.
Sie sah nicht viel. Nur die hohen Grashalme, in die sich noch die dünnen Stengel des Unkrauts mischten. Sie sah auch wilde Blumen, deren Blüten weiß und gelb schimmerten. Und dies alles zusammen lag wie ein Teppich vor ihr.
Es war auch jemand in der Nähe. Sie spürte die Anwesenheit der Menschen. Sie kam ihr vertraut vor, und trotzdem wehrte sich Maureen innerlich dagegen, weil sie einfach die Gefahr spürte, die sich ebenfalls zusammengebraut hatte.
Etwas raschelte in ihrer Nähe. Nicht weit von ihrem Gesicht weg bewegte sich der Teppich. Es lag daran, daß jemand über ihn hinwegschritt und um sie herumging.
Dabei hörte sie das Lachen.
Sehr leise, dennoch voller Triumph. So lachte eigentlich nur eine Gewinnerin, denn es gab keinen Zweifel, daß dieses Lachen von einer Frau stammte.
Von der Hexe?
»Sie ist wieder wach?«
Eine fremde Stimme hatte gesprochen, und jemand trat dicht an sie heran. Ein kurzer Kick mit dem Fuß gegen ihre Hüfte ließ Maureen zusammenzucken.
»Hoch mit dir!«
»Laß sie doch«, sagte eine andere Stimme. »Gib ihr Zeit, sich auszuruhen. Sie wird noch früh genug erleben, was es heißt, sich gegen uns gestellt zu haben.«
Maureen Simpson hatte die Drohung sehr wohl gehört. Zum erstenmal merkte sie die Angst. Sie war wie ein Gift, das durch ihre Adern kroch und keine Stelle des Körpers ausließ. Ihr Nacken spannte sich dabei, sie holte mit dem offenen Mund Luft. Grashalme kitzelten an ihren Lippen, sie spie aus, dann griff eine Hand zu und legte sich um ihre Schulter. »Sollen wir dich hochziehen?«
»Nein… nein…«
»Dann steh auf!«
Die andere half Maureen dabei. Sie selbst hatte sich nicht genügend Schwung gegeben und wäre wieder gefallen, aber die Stütze reichte, und Maureen blieb auch stehen.
Sie wollte noch nicht sehen. Die Augen hielt sie geschlossen, ihr Herz schlug schwer und dumpf.
Durch die Nase saugte Maureen die sie umgebenden Gerüche ein, die ihr plötzlich so vertraut vorkamen. Ohne die Augen zu öffnen, wußte sie, wo man sie hingeschleppt hatte.
Himmel, das war die Lichtung. Das mußte genau der Platz sein, an dem ihr Bruder Mike gestorben war.
Das Wissen machte sie schwindlig. Sie wollte schreien, aber sie öffnete die Augen - und sah Lea!
Die Hexe stand direkt vor ihr. Sie hatte darauf gewartet, daß die Gefangene die Augen öffnete, sie freute sich auf diesen Moment, und auf ihrem ungewöhnlich grünlich schimmernden Gesicht zeigte sich ein breites Lächeln.
Maureen schwieg. Aber sie kannte die Regel. In diesem Fall war sie die Delinquentin, Lea die Henkerin. Es lag auf der Hand, sie machte sich keine Illusionen. Maureen lebte nur, um getötet zu werden, aber dieser Gedanke verschwand sehr schnell wieder aus ihrem Kopf, denn aus dem Augenwinkel nahm sie zuerst rechts eine Bewegung wahr, dann auch an der linken Seite, und als sie sich einem Instinkt folgend umdrehte, da erschien noch eine dritte Person in ihrem Blickfeld.
Lea und drei Frauen.
Die Erkenntnis traf Maureen innerhalb weniger Sekunden. Sie wußte plötzlich Bescheid, wie die Falle aufgebaut worden war. Sie konnte sich alles vorstellen, denn Leas Helferinnen waren ihr auf keinen Fall unbekannt.
Da war einmal die dunkelhaarige Person von der Rezeption, die Nele hieß. Sie sah auch Anni, das Zimmermädchen, und natürlich Celia, von der sie überwältigt worden war.
Nur John Sinclair fehlte.
Der Mann, der sie hatte retten sollen, der nicht gewollt hatte, daß sie in die Falle hineinliefen, und der es nicht hatte ändern können. Wahrscheinlich war auch er außer Gefecht gesetzt worden. Alles hatte sich radikal verändert, und Maureen fürchtete sich vor ihrem eigenen Wissen. Wenn sie sich vorstellte, daß sie mittlerweile schon sechs Helferinnen dieser Hexe kannte, dann war es auch nicht unmöglich, daß diese Person noch mehr Dienerinnen auf ihre Seite gezogen hatte.
»Jetzt bist du bei uns!« sagte Lea.
Maureen zögerte mit der Antwort. Ihr Blick flatterte. Sie ärgerte sich darüber, daß die anderen ihre Furcht mitbekamen, aber sie kam nicht dagegen an. Sie spürte auch die Signale ihres eigenen Körpers überdeutlich. An der Stirn quälte sie ein leichtes Brennen, als befände sich dort eine Wunde. Wahrscheinlich war Maureen da von dieser Pfeilspitze getroffen worden.
Auch wenn sie gewollt hätte,
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