0858 - Missgeburt
Irrtum!
Dennoch handelte er zielgerichtet und ruhig. Das war einer der Vorteile des untoten Daseins. Angst hielt sich in kontrollierbarem Rahmen, und der Körper gehorchte stets perfekt, ohne Abnutzungserscheinungen. Auch diese tödliche Gefahr beeinflusste sein kühles, logisches Denken nicht.
Er überschlug sich, rollte zwischen den mächtigen Beinen des Skeletts hindurch und kam wenige Handbreit neben den Überresten seines Exerzierstabs zum Halten. Er zischte einen mächtigen magischen Spruch und streckte die Hand aus.
Die Staubmassen wirbelten auf, zogen sich zusammen und verdichteten sich. Für die Dauer eines Lidschlags umkreisten sie sich in konzentrischen Kreisen, ehe vom Mittelpunkt aus der Stab neu entstand und in die ausgestreckte Hand seines Besitzers flog.
Lhitt'har sprang auf die Beine, hob den Stab und aktivierte mit einem weiteren Spruch dessen Kräfte, die mit der Neuerschaffung ebenfalls wiederhergestellt worden waren.
Ihm blieb keine Wahl. Was er zuvor ins Leben gerufen hatte, musste nun sterben. Rauchsäulen und Blitze zuckten auf das Skelett zu.
Dieses brüllte, warf den Kopf zurück und stand wie erstarrt. Die Knochen begannen fahl zu leuchten, dann quoll Licht aus ihnen hervor und jagte einer Feuersäule gleich in den Nachthimmel.
Lhitt'har beobachtete es zufrieden und gleichzeitig entsetzt. Zwar war er gerettet, aber seine Aufgabe war fehlgeschlagen. Mit dem Licht wich auch das Leben aus dem erweckten Skelett. Die Knochen würden zusammenprasseln und nur noch ein nutzloser Haufen toter Materie sein.
Die erhofften Einblicke in die Vergangenheit würden nie erfolgen.
Er senkte den Stab, wartete darauf, dass das Skelett fiel. Das Leben war aus ihm gewichen, das Licht verblasst.
Doch es stand nach wie vor. Stand und bewegte sich!
Die gewaltigen Greifklauen schlossen sich um Lhitt'hars Leib. Eisige Kälte drang durch den Stoff der roten Robe.
Und hinter ihm klang eine Stimme auf. »Dein Leben magst du aus dem Skelett vertrieben haben, nicht jedoch meines. Ich danke dir.«
Lhitt'har drehte mühevoll den Kopf. Die lederhäutige geflügelte Gestalt hatte zu ihm gesprochen. »Wer bist du? Warum…«
»Keine Fragen«, antwortete das Monstrum. »Du sollst wissen, dass ich dir danke, unbekannter Magier. Das Skelett ist nun nur noch von meiner Kraft beseelt. Dich benötige ich nicht mehr.«
»Was…« Weiter kam er nicht.
Eines der spitzen Knochenenden des rechten Flügels schoss auf ihn zu und durchbohrte seinen Brustkorb.
Zugleich noch eines, von der anderen Seite her.
Sein zappelnder Leib wurde in die Höhe gewuchtet und rutschte auf den Knochen tiefer. Dann drückte das Skelett seine Flügel auseinander.
Das Letzte, das Lhitt'har in seinem untoten Dasein spürte, war ein Reißen.
Sein letzter Gedanke, ehe er in ewiger Nacht versank: Nun werden mir die tiefen Kavernen erspart bleiben.
Sein letztes Gefühl - Dankbarkeit…
***
Lucifuge Rofocale sah nachdenklich auf das Blut, das von den Flügelknochen tropfte.
Blut… ungewöhnlich für eine untote Kreatur. Hier auf Brakila war einiges nicht so, wie es der Normalität entsprach.
Es war dem Ministerpräsidenten der Hölle nicht gelungen, die Natur der Magie zu ergründen, mit der der Untote das Skelett zum Leben erweckt hatte. Lucifuge Rofocale hatte lediglich seine eigene Magie zusätzlich in die Knochen legen können.
Insofern hatten seine Worte an den Magier der Wahrheit entsprochen. Er war ihm tatsächlich dankbar, dass er die geheimnisvolle Lebenskraft aus der Kreatur vertrieben hatte.
Nun gehörte das uralte lebende Skelett ihm.
Es war das Werkzeug, mit dem Lucifuge Rofocale den Zwitter und damit einen Gutteil seiner Probleme endgültig beseitigen würde.
***
Zamorra lief inmitten der Halle. Rechts und links standen abwechselnd Käfige und Pritschen.
Es zog ihm den Magen zusammen, als er auf vielen Pritschen rote Flecken entdeckte. »Was genau hast du mit den Tieren angestellt?«
Der Zwitter stützte sich mit der Rechten auf eine der Liegeflächen. Sein Daumen war nur Millimeter von einer großen eingetrockneten Blutkruste entfernt. Es stank bestialisch. »Ich musste herausfinden, inwieweit ich auf ihre Lebensenergie zugreifen kann.«
»Was hast du damit bezweckt? Es kann dir doch nicht darum gehen, wie ein Seelenvampir einen…« Dem Meister des Übersinnlichen verschlug es die Sprache, als er endlich verstand. Wie ein Seelenvampir einen Affen auszusaugen, hatte er sagen wollen.
Es war jedoch nicht nötig, die
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