0858 - Missgeburt
tun, zu denen ich dich nicht mit Gewalt zwingen könnte.«
»Aber?«, fragte der Meister des Übersinnlichen.
»Aber ich verlange etwas von dir, dass du freiwillig nie tun würdest. Deshalb muss ich dich eben doch zwingen. Nur auf einer anderen Ebene. Ich stelle dich vor die Wahl.« Der Zwitter atmete tief durch.
Der Parapsychologe ahnte, was nun folgen würde, und er erwartete fassungslos die genauen Details eines hinterhältigen ErpressungsVersuchs.
Er täuschte sich nicht.
»Entweder du tust, was ich von dir verlange«, fuhr der Zwitter eiskalt fort. »Oder…«
»Oder?« Aus Nicoles Stimme war jegliche Anteilnahme gewichen und hatte kalter Wut Platz gemacht.
»Oder Johannes stirbt. Gebt euch keine Mühe, mich umstimmen zu wollen. Überlegt nicht einmal, ob ihr mich auf der Stelle umbringen solltet - es würde euch nichts nützen. Johannes steckt in einer ausbruchssicheren Zelle. Wenn ich ihn nicht versorge, wird er dort verdursten.«
Zamorra musterte ihren Besucher. War er ihm vor wenigen Augenblicken noch als hinfällig erschienen, so kamen ihm nun andere Beschreibungen in den Sinn. Heimtückisch. Lauernd. Hinterhältig.
Und voller Verzweiflung.
Der Zwitter lächelte schmallippig. »Das wird euch nicht gefallen, aber so liegen nun einmal die Fakten. Da die Zeit drängt, bleibt für Intrigen und Verwirrspiele keine Zeit. Werdet ihr mir helfen?«
»Helfen?«, fragte Nicole bitter. »Das ist doch wohl nicht dein Ernst. Wir werden dir ganz sicher nicht helfen.«
»Aber…«
»Nichts aber«, unterbrach der Meister des Übersinnlichen, der genau wusste, worauf seine Geliebte hinauswollte. Er kannte sie gut genug. »Wir werden dir nicht helfen. Aber wir werden uns deiner Erpressung möglicherweise beugen.«
»Du nimmst mir die Worte aus dem Mund«, bestätigte Nicole. Sie warf dem Zwitter einen bissigen Blick zu. »Ich bin enttäuscht von dir.« Sie wandte sich an ihren Geliebten. »Wir sollten kurz allein darüber sprechen. Ohne ihn.«
Zamorra lachte humorlos. »Was bringt es, das Zimmer zu verlassen? Unser spezieller Freund wird ohne Probleme unsere Gedanken lesen können.«
»Das könnte ich«, stimmte der Zwitter zu. »Aber ich werde es nicht. Ich kann nur wiederholen, dass ich mit offenen Karten spielen möchte. Keine Täuschung. Keine Lügen. Verlasst den Raum und besprecht euch. Ich werde euch nicht auf telepathischem Weg belauschen. Von mir aus werft mich auch aus dem Château und nennt mir einen Treffpunkt, an dem ihr mir eure Entscheidung mitteilt.«
Dem Meister des Übersinnlichen war daran gelegen, die Situation zu entschärfen. »Das wird nicht nötig sein. Vielleicht ist es am besten, du suchst dein altes Zimmer auf. Oder das Zimmer, das Andrew Millings vorübergehend bewohnt hatte, um genau zu sein. Derjenige, den ich nun vor mir sehe, hat mit Andrew nicht mehr viel gemeinsam.«
»Ich bin nicht mehr er«, bestätigte der Zwitter. »Andrew ist ein Teil von mir und ich bewohne seinen Körper. Mehr nicht.«
»Mehr nicht«, wiederholte Nicole.
Wie viel Unausgesprochenes lag in diesen kleinen Worten.
***
Johannes hatte nicht lange nachdenken müssen, um seine Antwort an den uralten Erzdämon zu formulieren.
Daraufhin war Lucifuge Rofocale verschwunden.
Nun darbte Johannes weiter in seiner Gefängniszelle. Er wartete auf das erneute Auftauchen des Zwitters.
Wartete auf sein Schicksal.
***
Anderswo
Über den schwarzen Nachthimmel zogen dünne Wolkenschleier, die vor allem daran erkennbar waren, dass sie das fahle Sternenlicht verdeckten.
Es war empfindlich kalt, sodass sich kaum ein Lebewesen blicken ließ; nur in weiter Ferne heulten Wüstenwölfe. Die robusten Tiere waren an die tiefen nächtlichen Temperaturen gewöhnt. Ihr dickes Fell härtete sie ab.
Den Mann in der roten Robe störte die Kälte ebenso wenig. Warum sollte sich ein Toter darum scheren, welche klimatischen Bedingungen vorherrschten? Er konnte im Dunkeln genauso sehen wie in gleißendem Licht. Die Gluthitze des Tages kümmerte ihn nicht, der Frost der Nacht war ihm gleichgültig.
Für ihn zählte nur eins: Sein großer Plan näherte sich dem Ende.
Sehr lange hatte er darauf hingearbeitet, was heute Nacht geschehen würde. Schon zu seinen Lebzeiten hatte er die ersten Vorbereitungen getroffen.
Zu seinen Lebzeiten… vor einer halben Ewigkeit. Damals war er auf den ersten Knochen gestoßen, während einer Wüsten Wanderung, als er sich der sengenden Hitze auf der Suche nach Erleuchtung ausgesetzt
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