0859 - Höllenliebe
hilflos war. Sie konzentrierte sich auf die Tritte und glaubte auch, ein anderes Geräusch herauszuhören. Ein Abrollgeräusch. Dann war es verstummt.
Hinter den Kerzen bewegte sich etwas. Es war groß, es war auch nicht nur eine Person, sondern zwei, die näher kamen und in den Bereich der Kerzen gerieten. Da wuchsen sie plötzlich zu Schatten heran.
Groß wie Menschen und trotzdem irgendwie geduckt und auch klein wirkend. Als hätten sie sich etwas über ihre Körper gehängt. Die beiden Gestalten schlugen einen Bogen um die Kerzen und näherten sich dem Bett der jungen Frau von der rechten Seite. Dicht neben der Liege blieben sie stehen.
Zwei Frauen!
Naomi hatte es erkannt. Seltsamerweise beruhigte sie das nicht, denn für sie sahen die Frauen schrecklich aus. Das mochte an den Kutten liegen, die sie trugen. Die Kapuzen hatten sie über die Köpfe gestreift, so daß nur die Gesichter zu sehen waren.
Naomi durchströmte bei ihrem Anblick Furcht.
Es waren kleine, runde Gesichter. Die Haut wirkte wie kaltes Hammelfett. Und sie kam ihr so unnatürlich glatt vor, als wäre sie noch eingerieben worden.
Dazu paßten die glänzenden Augen, die kleinen verkniffenen Münder, auch die Kinne, die so rund vorstanden. Diese Frauen hatten eine bestimmte Aufgabe, eine Botschaft, und sie waren sicherlich nicht erschienen, um Naomi zu erschrecken.
Sie waren Nonnen!
Genau, jetzt hatte sie es herausgefunden. Sie trugen ihre Tracht, und auf den Köpfen saßen keine Kapuzen, sondern dunkle Hauben.
Naomi hielt den Atem an.
Die Nonnen wollten etwas von ihr, und sie glaubte nicht, daß sie Freundinnen waren. Sie standen unter dem Einfluß einer anderen Macht, und sie konnten durchaus etwas mit Josephiel zu tun haben.
Die beiden Nonnen standen so dicht zusammen, daß sie sich gegenseitig berührten. Dann beugten sie sich vor, als wollten sie mit den Gesichtern die dünne Bettdecke der Liegenden berühren. Die blaßblauen Lippen zuckten dabei, als konnten sie sich nicht entscheiden, ob sie lächeln sollten oder nicht.
Naomi hielte den Atem an und verkrampfte vor Angst.
Dann hörte sie die Stimme der rechten Nonne. »Da liegt sie, unsere junge Mutter.«
»Ja, sie ist hübsch.«
»Unser Freund hat eine gute Wahl getroffen.«
»Sicher.«
Sie wechselten sich ab und streichelten Naomi mit geflüsterten Sätzen, als wollten sie ihr eine Erklärung geben, von der die junge Mutter kaum etwas verstand.
»Wir werden ihr dankbar sein.«
»Alle wollen ihr danken.«
Die beiden Nonnen nickten synchron, und ebenso gleichmäßig traten sie zurück. Auf ihren Lippen lag dabei ein Lächeln, und in den Augen stand ein funkelnder Glanz. Die Arme hatten sie vor ihre Körper gelegt, die Hände waren gefaltet, und sie behielten dieses widerliche Lächeln bei.
Dann sprach wieder die rechte Person. »Ich glaube nicht, daß sie ihre beiden Kinder gesehen hat oder?«
Naomi schwieg, doch ihr Herz schlug wieder schneller. Zum erstenmal waren die Kinder erwähnt worden, die ihren Leib verlassen hatten, ohne daß sie etwas bemerkt hatte.
»Hast du sie gesehen?« fragte die rechte Nonne.
Naomi schüttelte den Kopf.
»Möchtest du sie sehen?«
»Weiß nicht.«
Die Nonne richtete sich auf und klatschte in die Hände. »Sie weiß es nicht, sie weiß es nicht. Das ist ja komisch. Eine junge Mutter, die sich nicht entscheiden kann, ob sie ihre Kinder sehen will oder nicht. Kannst du das begreifen?«
Die zweite Nonne schüttelte den Kopf.
Naomi dachte an etwas ganz anderes. Immer wieder hatte sie sich die Umgebung angeschaut, in der sie nicht mehr allein lag. Da waren zwei Nonnen erschienen, und Nonnen gehörten zu einem Kloster.
Das Kloster in den Bergen!
Genau das war es. Das mußte es sein. Das alte Kloster, das nicht zu weit von ihrem Heimatort entfernt, aber versteckt in den Bergen lag.
Genau!
Es wurde von den Dorfbewohnern nie besucht. Man war dagegen, daß jemand dorthin ging. Man wollte es einfach nicht. Über die Gründe wurde nie gesprochen, aber man erzählte sich, daß die dort lebenden Nonnen nicht nur gut waren.
Im Winter hatten sich hin und wieder einige der Nonnen in den Ort getraut. Sie waren wie Geister durch die schmalen Gassen gehuscht, und man hatte ihnen Lebensmittel mit auf den Weg gegeben, damit sie auch so schnell wie möglich wieder verschwanden.
Jetzt standen zwei von ihnen an Naomis Bett. So dicht, daß sie die Liegende streicheln konnten, was sie auch taten. Finger glitten über Naomis Wangen hinweg. Die junge
Weitere Kostenlose Bücher