0859 - Höllenliebe
Schleier, der auf sie zuwehte und sie bedeckte. Die Augen fielen ihr zu, die Ellenbogen der angewinkelten Arme rutschten über den Tisch hinweg, und sie stieß die Flasche um, ohne daß sie es bemerkte.
Der Schnaps lief aus, breitete sich auf dem Tisch aus und tropfte zu Boden.
In das kleine Haus am Berg trat die nächtliche Ruhe ein. Und genau darauf hatte ein Besucher nur gewartet. Auch Serafina hörte ihn nicht, als er die Tür öffnete und das Innere betrat.
Er schaute auf die schlafende Frau. In seinen Händen zuckte es. Für einen Moment wurde sein Gesicht tiefschwarz, und die Hörner auf seinem Kopf glühten auf.
Dann war der Anfall vorbei. Er hatte sich wieder beruhigt und sah aus wie immer.
Mit sicheren Schritten, als würde er hier schon Jahre wohnen, betrat er das Schlafzimmer…
***
Jemand stieß sie leicht an der Schulter an.
Naomi murmelte im Schlaf.
Wieder dieser Stoß.
Diesmal beschwerte sie sich durch ein leises Grunzen. Sie war wütend darüber geworden, daß es jemand wagte, sie aus ihren wunderbaren Träumen zu reißen. Sie hatte von einer Zukunft im Sonnenlicht geträumt. Von einem prächtigen Haus am See, wo ihre zwei Kinder auf dem sattgrünen Rasen herumtobten, sie selbst unter einem Baum saß und die Zwillinge beobachtete, wobei sie auf ihren Mann wartete, der von seiner Arbeit bald zurückkehren würde.
Die heile Welt einer Schnulze, in die Naomi sich so gern hineinsinken ließ.
Die Kinder lachten, sie tobten, sie hatten ihren Spaß, sie drehten sich zu ihrer Mutter hin um - und schrieen schrecklich.
Da sah sie ihre Gesichter.
Fratzen, schwarz, grau, alt und widerlich!
»Naomi!«
Die Stimme drängte sich in ihre Gedanken hinein, und sie vertrieb auch die schrecklichen Bilder.
Die junge Frau schlug die Augen auf, sie war noch nicht wach, aber sie bemerkte den Schatten, der über sie gefallen war, und sie war froh, daß ihr Traum ein Ende gefunden hatte. Zum Glück war es nur ein Traum gewesen, die Angst einer Mutter, daß letztendlich noch etwas bei der Geburt schiefgehen konnte, eben auf diese Sequenzen projiziert.
»Ich bin da.«
Die Stimme drang in ihr Bewußtsein, und Naomi lächelte plötzlich, als sie sie erkannte. Ja, er war gekommen. Josephiel hatte sie nicht im Stich gelassen, er hatte sein Versprechen gehalten. Er war erschienen, er würde sie holen und wegbringen.
Wunderbar…
Noch halb im Schlaf streckte sie ihm die Arme entgegen und winkte mit den Fingern. »Komm her, bitte, komm her, ich möchte dich spüren.«
Der Besucher hatte etwas dagegen und schüttelte den Kopf. »Später, meine Liebe, nicht jetzt.«
»Warum nicht? Ich…«
»Nein, das geht nicht. Ich bin gekommen, um dich zu holen. Es wird nicht mehr lange dauern, dann werden unsere Kinder kommen. Du mußt dich doch jetzt auf die Geburt vorbereiten.«
Erst jetzt war Naomi klargeworden, daß es kein Zurück mehr für sie gab. Sie erschrak auch vor der Spontaneität dieses Entschlusses, und ihre Augen weiteten sich. »Bitte, ich… ich… muß noch packen. Ich muß noch meine Sachen holen und…«
»Nur den Mantel, Liebes.«
»Aber das andere.«
Er lächelte sie so gütig an, daß sie kein Wort mehr sagen konnte. »Das andere ist alles vorbereitet. Du brauchst da wirklich keine Angst mehr zu haben. Es wird alles viel besser laufen, als du es dir jemals vorgestellt hast.«
Noch waren bei Naomi nicht alle Zweifel beseitigt. »Und du bringst mich wirklich weg?« hakte sie noch einmal nach.
»Ja, das habe ich dir versprochen.«
»Wohin denn?«
»Laß dich überraschen.«
»Wir bleiben aber nicht hier im Ort oder in der Nähe, nicht wahr? Das tust du mir doch nicht an.«
Er schob seine Hände unter ihre Schultern und hob sie an. »Nein, da brauchst du dir keine Gedanken zu machen. Es wird alles wunderbar werden, und du wirst sehr zufrieden sein, glaube es mir.«
Da nickte die junge Frau, und ihre Augen leuchteten dabei. Sie war froh, sie kam endlich weg, und sie würde auch sehr bald die Last des Bauches nicht mehr spüren.
Zwei Kinder würde sie gebären.
Herrlich!
Als sie auf den Füßen stand, hielt ihr Josephiel bereits den ponchoähnlichen Mantel entgegen. Der Stoff bestand aus dicker Schafswolle, er hielt die Kälte ab. Naomi schlüpfte in ihre gefütterten Stiefel.
»Mehr brauche ich wirklich nicht?«
»Nein, wenn ich es dir sage.«
»Gut, Josephiel, ich vertraue dir.« Sie küßte ihn auf kalte Lippen, und sie störte sich auch nicht daran, daß auf seinem Kopf noch dieses krumme
Weitere Kostenlose Bücher