0859 - Höllenliebe
lief herbei, um nach dem Grund des Knalls zu forschen. In dieser Halle standen nur die Fahrzeuge als stumme Beobachter, die nicht reden konnten.
Ferne Geräusche erreichten Pierres Ohren. Die Fähre war bereit, abzulegen. Luken und Klappen wurden geschlossen, Stege eingeholt, Taue gelöst, all das gehörte zum Ritual.
Nicht aber die Reaktion des Mannes.
Aus seinem Mund drang so etwas wie ein Schnaufen, als er die Hand von seiner Wunde löste und er sich gleichzeitig dabei aufrichtete. In seinen Augen hatte sich etwas verändert. Sie wirkten jetzt noch kälter - und sie hatten keine Pupillen.
Das erschreckte Pierre. Noch mehr allerdings erschreckte ihn eine andere Tatsache.
Der Fremde war wieder fit!
Er stand aufrecht vor ihm. Kein Blut war aus der Wunde gedrungen. Es war auch kein Einschußloch zu sehen. Nur die zerfransten Ränder des Lochs in der Kleidung.
Das darf nicht wahr sein! schoß es Pierre durch den Kopf. Das… das ist unmöglich! Ich werde noch irre. Ich… ich… kann es nicht begreifen. Der hätte verletzt sein müssen!
Er war es nicht.
Er hatte die Kugel verdaut, und er hatte es sogar geschafft, die Wunde mit den eigenen Händen zu schließen, was dem jungen Templer nicht in den Kopf wollte.
Ihm war, als hätte er mehrere Schläge zugleich unter die Gürtellinie bekommen. Für einen Moment drehte sich in und vor ihm etwas. Er kam sich vor wie in einem Kreisel. Die gewaltige Halle war zu einem schwankenden Boot geworden, und eine innere Stimme warnte ihn mit allem Nachdruck davor, sich hier noch weiter aufzuhalten.
Er lief trotzdem nicht fort.
Der Fremde faszinierte ihn, denn abermals wurde er angeschaut, und der Blick dieser pupillenlosen Augen war noch böser und kälter geworden. Er war das Todesurteil.
Der andere kam näher.
Für eine Flucht war es zu spät. Wieder hob Pierre die Waffe an. Er zielte jetzt bewußt auf den Kopf des Fremden, auch wenn es ihm tief in seinem Innern widerstrebte, weil er sich wie ein Killer vorkam, der einen Mord plante.
Es gab ansonsten kein Zurück für ihn.
Da wischte die Hand des anderen durch die Luft. Die Bewegung sah so lässig aus, als wäre sie spontan erfolgt, was bestimmt nicht der Fall war.
Der Fremde kannte sich aus, und er griff zu.
Seine Hand schnappte nach der Pistole wie eine Mausefalle nach dem kleinen Tier. Zwar versuchte Pierre noch, die Hand zurückzuziehen, er hatte nicht die Spur einer Chance. Der Mann war ihm an Kräften überlegen und hielt plötzlich die Waffe in der Hand, schaute sie an, wobei sich seine Lippen zu einem spöttischen Lächeln verzogen, als wollte er andeuten, wie lächerlich die Pistole letztendlich doch war.
Pierre traute sich nicht, wegzulaufen. Es war ihm auch klargeworden, daß es keinen Sinn hatte. Dieser andere war ihm einfach überlegen, und er mußte plötzlich mit ansehen, was der Mann mit der Pistole anstellte. Er hielt sie jetzt mit zwei Händen fest, einmal am Griff und auch am Lauf gepackt.
Dann fing er an, die aus Stahl bestehende Waffe zu verbiegen. Er strengte sich nicht einmal dabei an. Auf seinen Lippen lag sogar ein Lächeln, und der harte Stahl der Waffe wurde zwischen seinen Händen zur Knetmasse.
Er formte dank seiner eigenen Kraft die Waffe zu einem Klumpen, der für einen Moment auf seiner linken Handfläche liegenblieb, bevor er mit der rechten darauf schlug.
Pierre hörte dieses knirschende Geräusch, dann war nur mehr ein flacher Klumpen von der Waffe zurückgeblieben, den der Fremde nicht mehr länger halten wollte.
Er warf ihn weg. Der flache Rest rutschte über den glatten Boden und verschwand unter einem Fahrzeug.
Pierre wußte genau, daß er die Ouvertüre überlebt hatte. Jetzt begann das Drama.
Die Flucht.
Er warf sich herum. Mit Riesensätzen wollte er losstürmen, um sich später in den Lücken zwischen den Fahrzeugen verstecken zu können, aber das gelang ihm nicht mehr.
Genau drei Schritte kam er weit!
Da war der andere plötzlich bei ihm. Pierre spürte für einen Moment den kalten Schleier des Todes.
Wenig später riß ihm eine ungeheure Kraft das rechte Bein weg.
Er fiel.
Aber er prallte nicht auf den Boden, denn noch in der Fallbewegung wurde er hochgehoben. Nur an einem Bein haltend schleuderte ihn der Fremde in die Höhe, drehte ihn sogar dabei, so daß Pierre nicht wußte, wo oben oder unten war.
Die gesamte Umgebung verschwamm vor seinen Augen. Er erlebte in diesen Sekunden eine wahnsinnige Angst, aber den Fall und das Lachen bekam er noch mit.
Und
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