086 - Das Grab des Vampirs
brachte sie mühsam hervor.
„Er wird nur kurz hinausgegangen sein.“
Endlich war der schreckliche Tanz vorüber. Der Gastgeber führte Ira ans Büfett zurück. Sie entschuldigte sich und ging hinaus. Einer der Lakaien zeigte ihr den Weg zur Damentoilette.
Eine alte Zigeunerin kam ihr in der Tür entgegen, als sie die Toilette betreten wollte. Die Frau war in bunte, schmutzige Kleider gehüllt. Billiger Tand schmückte ihren faltigen Hals und ihr weißes Haar. Sie griff nach Iras Hand und umklammerte sie fest.
„Lassen Sie mich los!“ sagte Ira ärgerlich. „Sie tun mir weh.“
„Geh, mein Kind!“ riet die Zigeunerin mit krächzender Stimme. „Flieh! Laufe weg, solange noch Zeit ist! Lauf, wenn dir dein Leben lieb ist!“
„Was ist los mit Ihnen?“
„Begreifst du denn nicht? Siehst du nicht, was hier geschieht? Willst du enden wie June?“
„Was wissen Sie von June?“
„Willst du so sterben?“
„Nein – natürlich nicht.“
„Dann lauf so schnell und so weit weg, wie du nur kannst!“
„Nein. Hier mitten unter den Menschen bin ich in Sicherheit. Draußen wäre ich allein.“
Zwei Damen kamen herein. Sie lachten und scherzten miteinander. Die Zigeunerin eilte davon.
Dietmar Runge hoffte, von Inspektor Poullais Unterstützung zu bekommen, aber er wurde enttäuscht. Der Polizist, der stark ermüdet war, wies den Studenten schroff zurück.
„Ich verstehe Sie nicht“, sagte Runge. „Weshalb wollen Sie mir nicht helfen?“
„Zuerst haben Sie Albert Maurnier verdächtigt – der Mann ist höchstwahrscheinlich nicht an der Tat beteiligt gewesen – und nun beschuldigen Sie den Comte. Sie sollten sich heraushalten und uns nicht in unserer Arbeit stören.“
Runge spürte, daß Poullais nicht mit sich reden lassen würde. Beschwörend sagte er: „Ich bin um Mademoiselle Bergmann besorgt. Wissen Sie nicht vielleicht, wohin Sie gefahren sein könnte? Sie kennen sich doch in St. Brieuc gut aus.“
Inspektor Poullais machte Runge eine überraschende Eröffnung.
„Der Comte ist nicht nach St. Brieuc gefahren.“
„Wie können Sie das wissen?“
„Einer meiner Beamten hat beobachtet, daß der Wagen nicht auf die Straße nach St. Brieuc abgebogen ist. Der Comte hat die Richtung nach Carhaix eingeschlagen.“
Er nickte Runge zu und verabschiedete sich.
Der Student blieb allein in der Halle des Schlosses zurück. Wenig später kam Alphonse de Marcin. Runge berichtete ihm, was er erfahren hatte.
„Dann glaube ich zu wissen, wohin der Comte sich gewendet hat“, entgegnete der Schloßherr. „Es ist nur eine Vermutung, aber eine andere Idee habe ich nicht. Kommen Sie!“
Er führte Runge in das Herrenzimmer, breitete dort eine Landkarte der Bretagne aus und zeigte ihm, wo das Schloßstand.
„Sehen Sie, hier unten, etwa dreißig Kilometer von uns entfernt, steht ein altes Schloß. Es wird nicht mehr bewohnt. Deshalb war ich überrascht, als der Comte mir eines Tages erzählte, daß er dort einen Besuch machen wollte.“
„Eines Tages?“
Alphonse de Marcin legte nachdenklich die Hand ans Kinn und schüttelte den Kopf.
„Am Tage habe ich den Comte eigentlich nie gesehen – oder nur dann, wenn wir in einem fensterlosen Raum waren.“
Runge sah sich die Landkarte an.
„Die Straße macht einen großen Bogen“, stellte er fest.
„Allerdings. Können Sie reiten?“
„Ein wenig.“
„Wenn Sie wollen, könnten wir versuchen, den Bogen zu Pferde abzuschneiden. Wir hätten dann noch eine Strecke von etwa acht Kilometern bis zum Schloß zurückzulegen. Vielleicht sogar noch weniger. Das Gelände ist für einen schnellen Ritt gut geeignet.“
„Dann reiten wir.“
Die Pferde waren schnell gesattelt. Albert Maurnier erwies sich als äußerst geschickt bei dieser Arbeit. Alphonse de Marcin übergab Runge einen temperamentvollen Rappen, während er selbst eine Stute mit auffallend langen Läufen wählte. Die beiden Männer trabten durch das Dorf und fielen dann in Galopp. Runge fühlte sich auf seinem Pferd sicher, obwohl er noch nie auf einem so lebhaften Tier gesessen hatte.
Die Nacht war hell und das Gelände übersichtlich. Die beiden Männer kamen schnell voran. Alphonse de Marcin verkündete soeben, daß es nur noch etwa einen Kilometer weit bis zum Schloß sei, als sie sich einem bewaldeten Hügel näherten. Bis zu diesem Zeitpunkt waren beide Männer stets zusammen geblieben, jetzt aber trennten sie sich. Runge ritt links um den Hügel herum, ohne das Pferd mehr
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