086 - Das Grab des Vampirs
alles nur geträumt zu haben.
Dann merkte er, daß auch die Leiche des Dauphin verschwunden war. Als er vom Bock heruntersprang, hatte sie noch an der Deichsel gehangen.
Runge ließ Ira stehen und ging zu den Pferden. Unter der Spitze der Deichsel lag ein Kleiderbündel. Ein Häuflein Asche wurde vom Wind auseinandergetrieben. Der Dauphin war erlöst.
Runge umrundete die Kutsche, ständig darauf gefaßt, vom Comte angegriffen zu werden, doch nichts geschah. Er öffnete die Türen und blickte auf die Sitze, aber auch hier fand er den Comte de Rochelles nicht.
Schließlich führte er Ira zum Wagen, doch sie weigerte sich, einzusteigen.
„Ich fahre mit dir auf dem Bock“, sagte sie.
Er half ihr hinauf, setzte sich neben sie und registrierte voller Freude, daß sie ihren Kopf an seine Schulter lehnte.
Da Runge den Weg nicht kannte, brauchte er fast zwei Stunden, bis er das Schloß erreichte. Er wurde von Lord Wellsley und Albert Maurnier empfangen, die ihm berichteten, daß sie Emilie im Wasser unter den Klippen gefunden hätten.
„Sie ist tot. Der Vampir hat sie ermordet“, sagte Maurnier.
„Ich hoffe, daß in dieses Schloß bald Frieden einkehrten wird“, entgegnete Runge, als auch Ira von der Kutsche gestiegen war. „Wir müssen nur den Morgen abwarten.“
„Soll ich den Inspektor benachrichtigen?“ fragte der Kastellan.
„Ich glaube, das hat wenig Sinn, Albert. Er wird uns nicht glauben und uns nicht helfen.“
„Ich möchte mich umziehen, Didi. Ich möchte heraus aus diesen Kleidern.“
„Albert wird dich hinaufbringen.“
Lord Wellsley zog Runge zur Seite. „Was ist passiert? Wo ist Monsieur de Marcin?“
„Ich fürchte, daß er tot ist.“
„Sie fürchten? Das bedeutet, daß Sie nicht sicher sind?“
Dietmar Runge erzählte, was vorgefallen war.
„Sie hatten also keine Gelegenheit, sich den Schloßherrn aus der Nähe anzusehen“, stellte der Lord nüchtern fest. „Wir werden zusammen dorthin reiten, wo Sie ihn zurückgelassen haben.“
„Glauben Sie, daß das noch viel Sinn hat?“
„Warum nicht? Vielleicht haben Sie den Dauphin gestört, noch bevor er Monsieur Alphonse umbringen konnte.“
„Sie haben recht. Ich werde die Stelle wiederfinden, zumal es schon hell wird. Glauben Sie, daß wir Ira allein lassen können?“
„Albert wird sich um sie kümmern.“
Die beiden Männer eilten in die Pferdestallungen und suchten sich zwei geeignete Pferde aus. Runge verabschiedete sich von Ira und schärfte ihr ein, bei Albert zu bleiben.
„Die Nacht der Vampire ist vorbei. Die Sonne geht bald auf“, sagte er. „Solange du keinen fensterlosen Raum betrittst, kann dir nichts passieren. Denk daran!“
„Ich verspreche es dir.“
Die beiden Männer ritten los. Runge war müde und erschöpft. Der Lord erwies sich als sportlicher Mann und guter Reiter. Er gab Runge einige brauchbare Hinweise, wie er seinen Reitstil verbessern und die Last für das Pferd verringern konnte.
Runge traf immer wieder auf Punkte im Gelände, an die er sich gut erinnerte. Mal war es ein besonders hoher Baum, mal eine Baumgruppe, mal ein einsames Bauernhaus, an dem sie in der Nacht vorbeigeritten waren. Die Sonne ging auf, als endlich der bewaldete Hügel vor ihnen lag. Und schon wenig später entdeckte Runge auch den Baum, unter dem der Schloßherr ruhte.
„Er ist noch immer da“, sagte er und nahm die Tatsache, daß de Marcin noch unter dem Baum lag, als Beweis dafür, daß er tot war.
Als sie ihr Ziel jedoch erreichten, sah der Student, daß de Marcin die Augen geöffnet hatte. Er hatte eine blutige Bißwunde am Hals, aber er lebte noch.
Runge sprang vom Pferd und beugte sich über den Schloßherrn, der noch immer unter einem Schock stand.
„Es ist so, wie Sie vermutet haben“, sagte Runge zu seinem Begleiter. „Ich hatte den Dauphin vertrieben. Ich denke, de Marcin wird es überstehen. Er ist nur sehr schwach.“
Ira Bergmann kam ihnen entgegen, als sie zusammen mit Alphonse de Marcin in den Schloßpark ritten. Albert Maurnier folgte ihr. Er war sichtlich erfreut darüber, daß sein Herr noch lebte. Behutsam half er Runge, de Marcin vom Pferd zu heben. Gemeinsam trugen sie ihn ins Schloß.
„Verständigen Sie sofort einen Arzt!“ befahl Lord Wellsley.
Albert Maurnier eilte davon. Wenig später kehrte er zurück und teilte mit, daß der Arzt bald kommen würde.
„Gut“, sagte Runge. „Dann bleibt uns nur noch eine Aufgabe. Wir müssen den Leidensweg des Grafen Marcel
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