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0865 - Aus Tinte geboren

0865 - Aus Tinte geboren

Titel: 0865 - Aus Tinte geboren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W.K. Giesa
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er zwischen den Fingern einer Hand fest, als er ebenso laut wie falsch pfeifend die Treppe emporstieg.
    Abrupt blieb er stehen und blickte sich um.
    War da nicht eben etwas gewesen wie ein Schatten, der an ihm vorbeihuschte? William kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf.
    Du wirst schon senil, alter Knabe, sprach er sich selbst Mut zu. In den Diensten von Lord Bryont und Professor Zamorra hatte er schon so viel Außergewöhnliches erlebt, dass ihn ein Schatten nicht aus der Ruhe bringen sollte.
    Ein eigenartiger Geruch erfüllte den Raum, gleichzeitig wurde es düsterer.
    Die Härchen in Williams Genick richteten sich auf, kalt rann es ihm den Rücken hinab.
    »Wenn das wieder von Rhett und MacFool kommt, können die was erleben«, zischte er.
    Plötzlich hatte er das Gefühl, beobachtet zu werden.
    War schon wieder jemand über die Regenbogenblumen ins Château eingedrungen, so wie Stygias Amazone vor wenigen Tagen?
    »Dieser Raum gehört mit allen Mitteln gesichert«, flüsterte William. Es war sträflicher Leichtsinn vom Professor, dass er die Kammer mit den Regenbogenblumen so ungeschützt ließ. Es gab zwar den weißmagischen Abwehrschirm, aber wer magisch neutral war wie die Amazone, kam ungehindert herein.
    Zum Glück hatte William nur noch ein paar Stufen bis zur angelehnten Tür, die den Keller vom Erdgeschoss trennte.
    Er zuckte zusammen. War da nicht etwas gewesen?
    Er glaubte, etwas gehört zu haben; ein fremdartiges und doch vertraut klingendes Geräusch, vergleichbar dem Zerreißen einer Gitarrensaite. Oder waren das fremde Stimmen in den Kellergewölben von Château Montagne?
    Und hatte er nicht aus den Augenwinkeln ein kurzes, schwaches Aufleuchten gesehen?
    Das kann nicht sein , versuchte er sich zu beruhigen. Schwarzes Leuchten gibt es nicht!
    Vermutlich war es eine Sinnestäuschung, und es war gar nichts passiert.
    Und doch…
    Williams Misstrauen war geweckt.
    »Was… ist… das?«, hörte er eine dumpfe Stimme und wusste nicht, ob er sie akustisch vernahm oder ob sie in seinen Gedanken ertönte.
    Vor Schreck ließ er eine Flasche mit Rotwein fallen. Sie zerschellte auf der Treppenstufe.
    Ausgerechnet der Halbtrockene, dachte er bedauernd. Seinen Schlaftrunk hatte er durch eigene Dummheit zerstört.
    »Wer bist du?«, fragte er das dunkle Wesen, das vor ihm stand. Er konnte nur erkennen, dass es fast ebenso groß war wie er selbst. Feste Konturen besaß der oder das Fremde nicht. Auch kein Gesicht im herkömmlichen Sinn, obwohl ein Mund und Augenschlitze zu erkennen waren.
    Es kam William vor wie ein überdimensionaler Tintenklecks aus dem Video-Clip zu »Crazy« von Gnarls Barclay, den ihm Sir Rhett einmal gezeigt hatte. Wie Recht er mit diesem verrückten Gedanken hatte, wusste er nicht.
    Statt einer Antwort riss ihm das Wesen irgendwie die Flasche aus der Hand und inhalierte den alkoholischen Inhalt. Die leere Flasche zerschellte auf dem Steinboden.
    »Schmeckt nicht«, teilte der Tintenklecks mit. »Brauche Gedankenenergie…«
    Nun reichte es dem Butler. Er ahnte, was diese Aussage bedeutete.
    Er huschte an dem Tintenwesen vorbei, warf die Tür der Kellertreppe hinter sich zu und eilte zu dem Visofon-Terminal der großen Eingangshalle hier unten im Erdgeschoss. Von hier aus konnte er über die Bild-Sprech-Anlage jeden anderen angeschlossenen Raum im Château erreichen; notfalls hatte er über die Tastatur auch Zugriff auf die Computeranlage.
    Er schaltete auf Rundruf. Dabei bemerkte er nicht, dass etwas Schwarzes unter der Tür hindurchfloss.
    »Professor…?«
    Es dauerte nur drei Sekunden, bis der kleine Bildschirm sein Gesicht zeigte. »Was ist los, William?«, fragte Zamorra. Er befand sich in der Bibliothek im dritten Stock. Über die Bildwiedergabe erkannte er, wo sich der Butler befand.
    William konnte es ihm nicht sagen.
    Dunkelheit umfing ihn.
    ***
    Er besaß keine Ohren, und doch konnte er hören.
    Obwohl er keine Augen in unserem Sinn besaß, konnte er sehen.
    Und er konnte reden und verstehen, obwohl er diese Sprache nie zuvor gelernt hatte.
    Er war verwirrt und gleichzeitig von Zorn erfüllt. Die Verwirrung war verständlich: Von einer Sekunde auf die nächste war er sich seiner selbst bewusst geworden. Eben hatte er noch nicht existiert, und jetzt erfüllten ihn tausend verschiedene Fragen und Gedanken.
    Und auf keine seiner Fragen fand er Antworten.
    Mit dem Zorn verhielt es sich etwas anders. Im Augenblick seiner Bewusstwerdung war sein Schöpfer zornig gewesen,

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