0866 - Rattennacht
Augen. Bei allen Teufeln der Hölle, er wollte es nicht wahrhaben.
Die Pistole!
Geladen, unter dem Sessel versteckt. Er brauchte sich nur zu bücken und sie an sich zu nehmen.
Damit war dann alles erledigt. Er konnte durch die Scheibe feuern und diesen Kerl in Fetzen schießen. Er selbst trug sichtbar keine Waffe.
Cunard bückte sich. Seine Hand war noch nicht unter dem Sessel verschwunden, ja, sie hatte nicht mal den hellen Teppich berührt, als er das Geräusch hörte.
Diesmal von der Tür her; sie wurde aufgewuchtet.
Seine Augen wollten ihm aus den Höhlen quellen. Er hatte sich nicht die Zeit genommen, seine Waffe zu packen, denn da waren sie plötzlich im Zimmer.
Ratten!
Ein Pulk zuckender Leiber. Kleine Füße und scharfe Krallen kratzten über den Boden, während sich der Schwarm auf das neue Ziel zubewegte.
Das war Cunard!
Er mußte erst damit fertigwerden. Als er es realisiert hatte, da hockten einige Ratten bereits auf den Rückenlehnen der Couch und auf den Sesseln.
Startbereit zum Sprung!
Sie sprangen.
Als hätte eine Hand sie zielsicher gegen das Objekt geschleudert, wuchteten sie dem Mann entgegen. Cunard riß noch die Arme hoch, so konnte er den ersten Ansturm der Ratten relativ gut abwehren. Dabei taumelte er zurück.
Da war die Couch, da war die Kante.
Seine Kniekehlen berührten den Rand, die Beine knickten ein, er kippte nach hinten und setzte sich unfreiwillig.
Sie sprangen.
Diesmal aus verschiedenen Richtungen, und es gab keine Ratte mehr, die ihr Ziel verfehlt hätte. Sie klammerten sich an Cunard, sie bissen zu, sie durchtrennten mit ihren messerscharfen Zähnen seine Kleidung und waren nun an der Haut.
Er schlug um sich.
Einige Tiere traf er mit wuchtigen Händen, schleuderte sie von sich weg, doch andere waren ebenso schnell wieder da und sprangen ihn an.
Er keuchte.
Die schmerzhaften Bisse übersäten den gesamten Körper. Selbst sein Gesicht wurde nicht ausgelassen. Ratten bewegten sich kratzend in seinen Haaren. Zähne hieben in seinen Hals, und plötzlich drang ein irrer, tierischer Schrei durch das Zimmer. So schrill und disharmonisch, als wollte er alles Glas zum Zerspringen bringen, was sich in unmittelbarer Nähe befand.
Cunard mußte schreien. Eine Ratte hatte sich in seinem großen Ohrring festgebissen und daran gezogen.
Der Gangster kippte von der Couch. Er fiel auf den Boden. Die irren Schmerzen trieben ihn an den Rand der Ohnmacht. In dieser Lage aber war er ein Futter für die Bestien.
Sie ließen nicht mehr von ihm ab.
Und vom Garten her schaute der Mann mit den blauen Augen zu. Er lächelte auf eine zufriedene Art und Weise…
***
Paris gehört zu den teuersten Städten der Welt, was sich letztendlich auf die Hotelpreise niederschlägt. Aber es gab eine Zeit im Jahr, wo die Bettenburgen nicht so stark begehrt waren. Zwei Monate im Sommer, Juli und August, wenn die Franzosen selbst Ferien hatten und die Stadt von den Geschäftsleuten gemieden wurde.
Da konnte es sich dann auch der Normalbürger leisten, in guten Hotels zu übernachten, und eine derartige Chance hatten sich Shao und Suko nicht entgehen lassen.
Sie wohnten im Intercontinental, einem noch alten Bau, der wie eine Trutzburg wirkte und nichts gemein hatte mit den anderen Häusern dieser Hotelkette.
Eine Nacht über ein Problem schlafen und am anderen Morgen dann entscheiden. So hatten sie es sich vorgenommen, so hatten sie es auch getan, und nach dem Duschen hatte noch keiner von ihnen über den Fall gesprochen. Jeder wartete darauf, daß der andere anfing.
Als Suko sich abtrocknete, stand Shao vor dem Spiegel und bürstete ihr langes Haar. Ihre Blicke trafen sich in der Spiegelfläche. Shaos Lippen verzogen sich zu einem knappen Lächeln.
»Was ist?« fragte Suko.
»An was denkst du?«
»An das gleiche wie du, nehme ich an.«
»Kann sein.« Suko legte das Handtuch zur Seite und trat dichter hinter Shao. Er umfaßte zärtlich ihren nackten Oberkörper. Seine Finger strichen über die leicht gebräunte Haut, verweilten an den Brustwarzen, und Suko merkte, wie sie sich versteiften. Zudem bewegte Shao unruhig ihre Hüften, während sie eine Hand nach hinten schob und dabei flüsterte: »Du bist verrückt, Suko. Nicht schon am frühen Morgen.«
»Wieso? Sind wir nicht in Paris, der Stadt der Liebe?«
»Schon, aber…«
Es gab kein Aber für Shao. Bevor sie sich versah, hatte Suko sie in die Höhe gehoben und die wenigen Schritte in das Zimmer getragen. Ihre Proteste erstickte er
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