0866 - Rattennacht
einer düsteren und schwülwarmen Sommernacht?
»Kommst du?« Shao war einige Schritte vorgegangen und hatte ihren linken Arm nach hinten gestreckt.
»Ja, ich komme«, erwiderte Suko und ging langsam auf sie zu…
***
Cunard fühlte sich nicht nur als großer Fürst in diesem Viertel, er handelte auch so, wie es die Fürsten früher getan hatten, denn er lebte zwischen seinem Volk.
Natürlich residierte er standesgemäß. Das Haus stand am Ende einer schmalen, leicht aufwärts führenden Straße. Es war von einem Garten umgeben. Ein Überwachungssystem mit mehreren Kameras war um das Haus herum installiert worden.
Trotz seiner Macht ließ sich eine gewisse Angst nicht unterdrücken, denn die Gangster-Konkurrenz in Paris war groß. Da konnte es schon mal passieren, daß aus einem anderen Revier jemand herüberschwappte, um sich neue Beute zu holen.
Wenn es besonders schlimm mit der Angst wurde, griff Cunard zu einem simplen Mittel.
Dann griff er hinein ins volle Menschenleben, und das bedeutete bei ihm Alkohol und Frauen.
Beides brauchte er. Beides benutzte er bis zum Exzeß. Auch nach der Begegnung mit dem Alten und dessen ungewöhnlichen Augen hatte er wieder zu dieser »Therapie« gegriffen, nur wollte sie ihm in dieser Nacht nicht so recht schmecken.
Weder der Champagner noch die Frauen, die ihn gleich zu viert verwöhnen wollten.
Irgendwann schleuderte er sie weg und kippte auch den Kübel mit der Flasche um. Dann sprang er hoch. Nur mehr halb angezogen und schweißgebadet. Die Mädchen krochen aus seiner Nähe weg, denn keines von ihnen wollte die Wut dieses Mannes mitbekommen.
Er schaute sich um, schnaufte dabei und winkte mit herrischen Bewegungen die beiden Bodyguards zu sich. »Wir werden gehen!«
»Wohin?«
»Zu mir nach Hause, klar?«
»Ja, natürlich, Boß!«
Er ließ sich immer Boß nennen. Dieser Ausdruck gefiel ihm. Er hatte ihn aus den amerikanischen Gangsterfilmen übernommen, und wie einer dieser Gangster benahm er sich auch.
Die Bar gehörte ihm zwar nicht, er benahm sich trotzdem wie deren Besitzer. Der mußte ja an ihn zahlen, und Cunard selbst zahlte seine Getränke nur, wenn er gute Laune hatte.
In dieser Nacht hatte er sie nicht.
Von seinen Leibwächtern flankiert bewegte er sich auf den Ausgang zu. Der Begriff Bar paßte eigentlich auch nur in Frankreich, denn in anderen Ländern stellte man sich unter dem Begriff Bar etwas anderes vor, nicht nur einen kahlen Raum mit weiß gestrichenen Wänden und ein paar bunten Lämpchen.
In der Mitte gab es die Tanzfläche, und die Gäste konnten an den Wänden auf schmalen Bänken ihre Plätze finden. Die Theke war nur klein und viereckig.
Das Ritual wiederholte sich nach jedem Besuch. Zuerst verließen die Bodyguards die Bar. Erst wenn sie das Okay gaben, ging auch Cunard an die frische Luft.
Die Hände tief in die Taschen, wartete er ab. Das miese Gefühl im Magen war noch immer nicht verschwunden. Er ärgerte sich auch über die Kopfschmerzen. Immer wieder erschien das Augenpaar des Alten vor ihm. Er las darin ein gefährliches Versprechen, und er hätte wer weiß was darum gegeben, die Gedanken des Typs zu kennen.
Es war ihm nicht möglich, und das Augenpaar verschwand, um einem anderen Platz zu schaffen.
Diese dunklen Augen gehörten seinem Leibwächter Romero, der ihm zunickte.
»Alles okay?«
»Sicher. Chico sitzt schon im Wagen.«
»Das ist gut.«
Auf der Straße wischte er sich das Gesicht blank. Cunard trat da wieder auf wie ein Fürst. Schließlich sollte niemand merken, wie es in seinem Innern aussah.
Sein Fahrzeug war ein schneeweißer Benz, dessen Lack schimmerte, als hätte er bleiches Mondlicht eingefangen. Romero öffnete die rechte Tür zum Fond, und der »Fürst« ließ sich aufstöhnend in die roten Lederpolster sinken.
Die Klimaanlage arbeitete auf Hochtouren, sorgte für angenehme Kühle.
Sanft rollte der Benz an.
Cunard hatte sich gedreht. Er blickte durch die Scheibe aus Panzerglas. Die Welt draußen lief wie ein Stummfilm vor ihm ab. Er hörte keine Geräusche, keine Stimmen, keine Tritte. Alles war so verschwommen, so anders, wie eine mit Geistern gefüllte Welt.
Lichter, alte Hausfassaden, Menschen auf den Gehsteigen, die die Zeit totschlugen, das waren die Bilder, die sich ihm boten. Der Schweiß auf seinem Gesicht war kalt geworden. Er lag wie eine durchsichtige Schicht auch auf der Oberlippe. Mit dem Finger wischte der Mulatte ihn weg.
Wegen der Einbahnstraßen konnten sie sich dem Ziel auf
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