0867 - Die Pesthexe von Wien
Enden Dämonenfratzen besaßen. Nun, das hatte sie ohnehin schon gewusst. Es hatte keinerlei Bedeutung. Diese kleinen dämonischen Wesen waren nichts als Chargen der niedrigsten Stufe, gerade stark genug, Menschen den Garaus zu machen. Darüber hinaus besaßen sie keinerlei bemerkenswerte Fähigkeiten. Doch, vielleicht diese, dass die Bakterienhaufen anfingen, so etwas wie Gemeinschaftsintelligenz zu bilden und eine Art Beeinflussungsstrahlung zu bilden, die zumindest Menschen, die den Kelch über längere Zeit benutzten, gefährlich werden konnte. Ihr hingegen nicht. Maneki Neko war in diesem dämonischen Miniuniversum also nicht im Geringsten gefährdet. Selbst wenn Labartu höchstpersönlich hier anwesend gewesen wäre - was die Pestdämonin allerdings schon lange nicht mehr konnte hätte der Eindringling sich nicht fürchten müssen. Wesen dieser Art kamen nicht an sie heran.
Maneki Neko durchstreifte die düstere Welt, in der es keinerlei Abwechslung gab. Sie brauchte nicht allzu lange dafür. Diese kleine, in sich abgeschlossene Dimension blieb überschaubar.
Die Hexe war allerdings nirgendwo zu sehen. Das hieß, dass sie den Kelch gerade nicht benutzte. Doch plötzlich kam Bewegung in die Welt. Ein Sturm heulte über die Landschaft hinweg, fuhr wütend in die Bakterienhaufen und wirbelte die Tiere zu Tausenden in die Luft. Vor dem düstergelben Horizont formten sie sich zu bizarren Wolkengebilden, die langsam wieder zur Erde niedersanken. Gleichzeitig erschien die Hexe. Völlig nackt tauchte sie aus der Brühe und sah sich langsam, mit beinahe majestätischer Arroganz um. Dabei stützte sie sich mit ausgestrecktem Arm auf einen schulterlangen, dünnen Stock. Ein noch längerer weißer Schleier, den sie an ihrem Hals befestigt hatte, wehte hinter ihr her. Gellendes Lachen ertönte, als sie unverwandt den Kopf schüttelte und ihr rückenlanges, schwarzes Haar dabei in Wallung geriet. Den ungebetenen Gast bemerkte sie nicht.
Maneki Neko wusste genau, dass die Hexe nicht körperlich in diesem kleinen Universum weilte, dass es sich lediglich um eine Art Abdruck aus der anderen Welt handelte. Der wurde hier hineinprojiziert, sobald die Hexe den Kelch benutzte. Gleichzeitig sah Maneki Neko schemenhaft die Abdrücke anderer Wesen, die den Kelch ebenfalls schon eingesetzt hatten. Neben Labartu und anderen bemerkte sie das Abbild eines Mönchs, der sich Abraham a Sancta Clara genannt hatte. Sein Abdruck strahlte aber nicht so intensiv wie die der anderen. Wahrscheinlich war er der Macht des Kelchs am wenigsten verfallen gewesen.
Bei dem Stock, auch das wurde dem unsichtbaren Gast bewusst, handelte es sich in Wirklichkeit um den Pestkelch selbst. Warum auch immer schaffte er es nicht, sich in sich selbst abzubilden und wählte stattdessen die Form eines Stabes. Mit den daraus entweichenden Bakterien verhielt es sich genauso. Sie wurden als dieser lange, weiße Schleier abgebildet.
Die Hexe, bis zu den Knöcheln in der schwarzen Brühe stehend, hob ihr Instrument und richtete es auf einen der Bakterienhaufen. Ein trichterförmiger Sog entstand, der die Tiere rasend schnell in das eine Ende des Stabs saugte und am anderen Ende wieder ausspie - direkt in die Welt der Menschen hinein.
Es war so weit.
Maneki Neko löste ihr Versprechen ein.
***
Zamorra ging ruhig und konzentriert zu Werke. Er zeichnete Labartus Sigill auf die nackte, haarlose Brust des Toten. Dann legte er Merlins Stern direkt in dessen Mitte. Schließlich malte er mit der Kreide verschiedene magische Zeichen auf Stirn, Oberkörper und Schultern. Dabei achtete er darauf, dass sich Sigill und Amulett genau in der Mitte der magischen Kraft befanden, die er hier aufbaute. Bei seiner filigranen Beschäftigung arbeitete er allerdings keineswegs nach Augenmaß. Das hätte niemals geklappt. Durch unterschwellige Beeinflussung half ihm Merlins Stern dabei. Eine halbe Stunde brauchte er. Schließlich betrachtete er schweißgebadet sein Werk. Zufrieden nickte er.
»So, ich denke, das passt. Jetzt heißt's warten, Nici. Bete mit mir, dass das nicht allzu lange dauert.«
Nicole nickte nur.
Stumm saßen sie da und warteten. Immer wieder wanderten ihre Blicke hoch zur Uhr. Zäh verrannen die Minuten. Und doch wieder viel zu schnell. In einer halben Stunde würde die Frühschicht auftauchen. In dreiundzwanzig Minuten. In zwanzig. In achtzehn…
Zamorra seufzte leise. »Wenn uns die Maneki Neko nicht hereingelegt hat, wird's wohl noch etwas länger dauern. Mist.
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