0867 - Emily
Spieß oder in einen Topf gesteckt.
Super!
Nichts anderes hatte er verdient!
Emily wollte nicht mehr daran denken, zumindest vorerst nicht. Etwas anderes war wichtiger. Sie wußte, daß sie in dieser Nacht Besuch bekommen würde. Ihr geheimnisvoller Freund hatte es ihr versprochen, und er war wirklich ein toller Typ. Sie hätte ihn selbst nicht besser erschaffen können, er war wie eine Gestalt aus einem ihrer Comics, dabei ein richtiger Held, den sie anfassen konnte.
Beide kannten sich inzwischen gut. Ja, man hätte meinen können, daß sie Freunde geworden waren.
Wenn sie darüber nachdachte, dann waren sie sogar Freunde geworden, und sie konnten sich aufeinander verlassen.
Aber wo blieb er?
Emily suchte verzweifelt den Himmel ab. Zumindest den Ausschnitt, den sie sehen konnte. Es war ihr leider nicht möglich, das Fenster zu öffnen, weil es keinen Griff hatte. Darüber hatte sie sich schon einige Male beschwert, doch ihre Worte waren mit einem Schulterzucken abgetan worden.
Ihrem Freund war es egal. Ob Fenster oder Wand, er würde es immer wieder schaffen, zu ihr zu kommen. Für ihren Freund gab es keine Hindernisse, er war eben was Besonderes, und sie glaubte fest daran, daß er kein Mensch war.
Das mußte einer der Heiligen sein, die hinter dem Himmel-Stausee lebten und darauf warteten, daß sie durch die Rufe irgendwelcher Leute auf die Erde geholt wurden.
Er würde kommen, das stand für sie fest. Ihre Verbindungen waren gut, er hatte bestimmt erfahren, was sie getan hatte, und sie wollte ihm mehr über die Schere erzählen.
Der Himmel war weit.
So herrlich weit, so dunkel, aber voller Sterne. Und jeder Stern war für Emily das Auge eines Engels, das auf sie niederschaute und sie bewachte.
Es war wie ein Wunder.
Nein, es war ein Wunder. Denn sie bezeichnete sich selbst ebenfalls als ein Wunder, weil sie in dieser herrlichen und wunderbaren Welt lebte, auch wenn sie sich nicht so bewegen konnte wie andere, aber das störte sie nicht, dafür hatte sie andere Bewegungsfreiheiten bekommen. Und was mit ihren Pflegeeltern geschehen war… nun ja, es war fast ein Versehen gewesen, so sah Emily es.
Die anderen eben nicht, aber das störte sie nicht. Sie verschwendete auch keinen Gedanken an die beiden, die überhaupt kein Verständnis für sie aufgebracht hatten.
Emily war zufrieden und wäre in dieser Nacht noch zufriedener gewesen, wenn ihr Freund sie besucht hätte. Er hatte auch einen Namen, das wußte sie, aber sie hatte ihn persönlich vergessen. Jedenfalls würde er ihr wieder einfallen, wenn sie ihn sah.
Der Name war aber auch nicht leicht zu merken, aber er war toll, sie liebte ihn.
»Freund«, murmelte sie und legte beide Hände gegen die Scheibe. »Lieber Freund, komm endlich! Komm bitte - komm her zu mir. Ich erwarte dich. Ich habe Sehnsucht…«
Würde er kommen?
Bestimmt. Er hatte niemals sein Versprechen gebrochen. Er war immer da, wenn sie ihn brauchte.
Verlassen konnte man sich auf ihn. Er war eben ein echter Freund, ein toller Partner, auch wenn er so ganz anders aussah als ein normaler Mensch.
Emily schaute gegen die Scheibe; Ein Stausee war der Himmel. Gewaltig und wunderbar. Er war einfach alles, er enthielt die irrsinnigen Geheimnisse. Er zeigte sich mal dunkel, mal hell, dann wieder wie eine große Leinwand und stets voller Wunder. Es war ihr Himmel, sie liebte ihn, sie wartete darauf, daß er sich öffnete und seinen Boten schickte.
Die Welt hinter der Scheibe wurde für Emily eine andere. Die blautintige Dunkelheit taute auf. Sie verschwand einfach und schuf einer anderen Umgebung Platz.
Emily lächelte, als sie den Garten in all seiner Farbenpracht sah. Es war so schön, viel schöner als der Himmel. Er war von der blühenden Sommerpracht zurückgedrängt worden, aber nicht wirklich.
Es kam Emily nur so vor, denn der Himmel zeigte ihre Erinnerung wie das Standbild aus einem Film.
An ihren anderen Freund dachte sie nicht mehr. Dazu war das Bild einfach zu schön. Diese herrliche Wiese, die Blumen, und sie sah auch jemand auf der Wiese.
Das war sie.
Ja, sie!
In ihrem Sommerkleid lief sie der Sonne entgegen, um einen Schmetterling zu erhaschen, der vor ihr mit torkelnden Flügelbewegungen durch die Luft flog, sich hin und wieder vom Wind tragen ließ, mal auf einer Blüte seinen Platz fand, aber schnell wieder startete, wenn das Mädchen zu nahe kam.
Sie konnte ihn nicht fangen. Es war unmöglich. Sie wollte den Schmetterling auch nicht töten, sie wollte ihn nur
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