0867 - Emily
hast die Frau aber nie gesehen - oder?«
Ich ließ Emily nicht aus den Augen, um jede ihrer Reaktionen mitzubekommen. »Ich denke noch nach. Sie kam mir in den Sinn. Sie… sie war einfach da.«
»Wann?«
»Schon etwas länger.«
»Und dann wolltest du sie malen.«
»Ich habe angefangen.«
»Das stimmt, ist auch alles richtig, aber du hast nicht genau hingeschaut, wer mich noch begleitet hat.«
Pause. Dann: »Vielleicht…«
»Damit kann ich nichts anfangen.«
»Ihr seid zu dritt gewesen.«
»Gut beobachtet.«
»Zwei sind gegangen:«
»Exakt.« Ich wollte noch weitersprechen, aber sie wollte nicht mehr. »Nein, nein!« schrie Emily.
»Ich will nicht mehr. Ich will allein sein. Doktor - bitte…«
Prudomme drehte sich um. »So, Monsieur Sinclair, es reicht. Sie bringen mir die Patientin sonst noch in einen Zustand, den ich nicht verantworten kann.«
»Ist schon klar, Doktor, wir werden gehen.«
Auch Emily hatte die Worte gehört. Sie aber wollte mich nicht mehr sehen, drehte sich auf ihrem Stuhl und ließ mich demonstrativ auf ihren schmalen Rücken schauen. Sie würde mich bestimmt nicht als einen Freund in Erinnerung behalten.
Doktor Prudomme schloß leise die Tür. Dann schüttelte er den Kopf. »Was haben wir getan, daß Emily sich plötzlich so aufregte?«
»Ich kann es Ihnen nicht sagen.«
»Sie wollen es nicht.«
»Pardon, aber wir haben nichts getan. Meine beiden Freunde haben das Zimmer sogar verlassen.«
Dort stehen sie und warten auf uns. »Wir scheinen Emily allein durch unsere Anwesenheit überfordert zu haben.«
Dr. Prudomme wollte das nicht unterstreichen. »Nein, ich kann es nicht glauben. Es muß etwas mit ihrem Bild zu tun gehabt haben. Überhaupt mit ihren Bildern, auch mit dem, das ich Ihnen gezeigt habe. Sie haben Emily ja darauf angesprochen, Monsieur Sinclair. Erst dann zeigte sie sich so verändert.«
»Sie verarbeitet etwas. Oder sie versucht, gewisse Dinge zu verarbeiten.«
»Den Doppelmord, meinen Sie?«
»Auch.«
»Was noch?«
Ich wußte nicht, wie weit ich diesen Mann einweihen konnte. Ich tat es sehr vorsichtig. »Wenn wir mal bei der ersten Zeichnung bleiben, die Sie mir zeigten, so muß ich Ihnen eingestehen, daß ich diese Person kenne.«
Dr. Prudomme wußte nicht, ob er lachen oder es bleiben lassen sollte. Er bewegte nur die Mundwinkel zuckend. »Moment mal, Sie… Sie kennen diese Comic-Figur?«
»Das ist sie nicht.«
»Ach.«
»Der Mann existiert. Es gibt ihn. Und ich glaube auch, daß er sie schon besucht hat.«
»Nein, nein«, sagte er lachend. »So können wir nicht reden. Glauben Sie nicht, daß uns ein Besuch von seiner Seite her aufgefallen wäre?«
»Im Normalfall schon. Aber dieser Zebulon hat sie nicht wie ein normaler Gast besucht. Er kam auf seine spezielle Art und Weise. Wieso und warum, das kann ich Ihnen schlecht erklären. Aber ich möchte Sie bitten, uns zu vertrauen.«
Das Gegenteil von dem trat ein. Mißtrauen zeichnete sich auf dem Gesicht des Arztes ab. »Habe ich mein Vertrauen Ihnen gegenüber nicht bewiesen? War ich nicht offen genug?«
»Alles bestens, Doktor. Ich spreche auch von einem anderen Vertrauen. Bitte, ich möchte, daß Sie nichts dagegen haben, wenn wir die Nacht hier im Haus oder auch im Park verbringen.«
Er legte den Kopf schief. »Moment mal, Sie… Sie wollen nicht wieder fahren?«
»Wenn es geht, erst morgen früh.«
Er lachte etwas blechern. »Darf ich denn fragen, weshalb Sie hier in der Nähe bleiben wollen? Reicht Ihnen der Schutz nicht, den wir Emily geben? Wollen Sie das Mädchen unter Ihrer Kontrolle halten, was ich doch als übertrieben ansehe.«
»Nicht Emily direkt. Wir werden uns nicht in ihrem Haus aufhalten. Da brauchen Sie keine Sorge zu haben. Ich möchte nur in ihrer Nähe bleiben, meinetwegen auch im Park. Ist das okay?«
»Ich stimme nicht gern zu.«
»Aber Sie stimmen zu.«
»Bleibt mir etwas übrig?«
»Sie sind der Chef.«
Er grinste mich an. »Und Sie können froh sein, daß Sie mir sympathisch sind. Hinzu kommt, daß auch ich an ein Geheimnis des Mädchens glaube. Da steckt tief in ihr etwas, mit dem auch ich bisher nicht zurechtgekommen bin. Ich bin nicht so versessen darauf, es allein herauszufinden. Hilfe nehme ich gern an.«
»Dann darf ich mich bedanken.«
»Bitte, keine Ursache.«
Suko und Shao hatten sich nicht gerührt. Sie warteten darauf, daß ich zu ihnen kam.
Und als ich schließlich neben ihr stehenblieb, da sah ich, wie schlecht Shao aussah.
Ich wollte eine
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