0867 - Emily
sie Wasserperlen aus dem Gesicht. Über der Stirn hatte auch das Haar Feuchtigkeit abbekommen und schimmerte naß.
Emily lächelte, als sie sich umdrehte. Tief atmete sie die Luft ein und fühlte sich wachsen.
Dann ging sie aus dem Bad.
In der offenen Tür blieb sie stehen, schaute durch ihr Zimmer. Es war von Schatten erfüllt. Oder bildete sie sich das nur ein? Emily wußte es nicht, sie konzentrierte sich auf den Tisch, wo das Blatt mit der begonnenen Zeichnung lag.
Ja, das war gut.
Sie nahm wieder auf ihrem Stuhl Platz. Mit der rechten Hand griff sie nach dem Malstift. Die Finger ertasteten ihn, ohne daß Emily hinzuschauen brauchte.
Es war gut.
Sie setzte den Stift dort ab, wo sie zuletzt aufgehört hatte. Es war der rechte Schulterbogen.
Dann zeichnete sie endlich weiter…
***
An einem Automaten hatten wir uns mit Getränken versorgt. Wasser in Dosen. Angeblich sollte das Zeug fit machen, wenn man der Werbung glaubte.
Für uns spielte es keine Rolle. Wir verließen die Klinik, der Portier hatte Bescheid bekommen und öffnete uns die sich ansonsten automatisch verschließende Tür.
Hinter den dicken Mauern der Klinik hatten wir ganz vergessen, wie warm es letztendlich war. Die Luft hatte an Schwüle gewonnen. Zwar schien die Sonne, aber sie stand nur mehr als fahler, gelblicher und verwaschener Fleck am Himmel. Wie ein Gesicht ohne Merkmale, so schaute sie auf die Erde herab.
Im Garten dampfte die Luft. Irgendwie unter dem dichten Geäst der Bäume war es immer feucht, und diese Feuchtigkeit stieg eben durch die Hitze in die Höhe, so daß sich dünne Schleier gebildet hatten.
Es gibt einige unangenehme Dinge, die unseren Job betrafen. Dazu zählte, daß wir auch bei größter Hitze ein Jackett tragen mußten, denn es war nicht eben die feine Art, offen mit einer Waffe herumzulaufen und andere Menschen zu erschrecken.
Auch heute trugen wir Jacketts, legten sie aber sofort ab, als wir unser Ziel erreicht hatten.
Es war eine Bank im Park, die einen sehr guten Standort aufwies. Sie hatte ihren Platz im Schatten gefunden, den das Laub und das Astwerk einer großen Platane gab. Der Untergrund war weich, etwas moosig. Insekten summten ihre Lieder, und die Farbe auf der Bank war an einigen Stellen ausgebleicht.
Vogelkacke entdeckten wir nicht, und so nahmen wir Platz, Shao zwischen uns, die sich noch immer nicht gefangen hatte und auch nicht hatte sprechen wollen.
Wir öffneten die Dosen. Das Zischen weckte bereits unsere Lebensgeister, denn wir alle kamen uns vor wie ausgedörrt. Da schmeckte sogar dieses »Aufbauwasser«.
Kalte Ströme rannen durch unsere Kehlen. Ich hätte die Dose am liebsten mit einem Schluck geleert, riß mich aber zusammen und stellte sie halbvoll neben meinen rechten Fuß.
Auch Shao trank nicht mehr. Sie rollte die Dose zwischen ihren Handflächen.
»Jetzt ist das Gefühl weg!« sagte sie.
»Welches Gefühl?«
»Sie wird es dir erklären, John.«
Suko fragte noch einmal. »Möchtest du es?«
»Ja.« Sie nickte. Dann ergriff sie Sukos Hand, als wollte sie sich dort einen besonderen Schutz holen. Sie begann mit allgemeinen Sätzen und sprach davon, daß es ihr unmöglich war, ihren Zustand zu begreifen. Sie kam mit ihm nicht mehr zurecht. Alles lief an ihr vorbei, und sie war sich vorgekommen wie eine Fremde im eigenen Körper.
Dann ging Shao die Sache konkret an. Dieses Angstgefühl stellte sie uns plastisch dar, das sie schon nach dem Eintritt in das Zimmer des Mädchens gespürt hatte. »Es muß an ihr gelegen haben, nur an ihr, denn als ich mich von ihr entfernte, da war es vorbei.«
»Du bist wieder normal geworden, nicht wahr?«
»Ja. Aber was heißt normal geworden? Ich habe mich auch bei meiner Furcht normal gefühlt. Ich stand ja mit beiden Beinen auf der Erde. Ich kann es mir nur nicht erklären.«
»Es ist Emily«, sagte Suko.
»Und noch mehr«, fügte ich hinzu.
Zuerst horchte Shao auf, dann Suko. Und er fragte: »Wie meinst du das, John?«
»Ganz einfach. Wir waren in Emilys Zimmer. Wir haben auch gesehen, daß sie sich mit einer Zeichnung beschäftigt hat. Sie hat etwas gemalt, zu Papier gebracht.«
»Stimmt«, sagte Suko.
»Aber habt ihr das Motiv auch gesehen?«
»Dazu kam es nicht mehr. Allein wegen Shao.«
»Genau das ist es. Wegen Shao. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, so etwas wie den Zipfel des Erklärungstuches in die Höhe gehoben zu haben.«
»Sag schon!«
Meine Worte tropfen in die gespannte Stille. »Emily war dabei, Shao
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