0869 - Der Affengott
Phnom Penh im Moment eigentlich ganz annehmbar. Wirklich schwierig konnte es in der Regenzeit werden, wenn die Flüsse und Seen des Landes über die Ufer traten und vielerorts Straßen knietief unter Wasser standen. Die Hauptstadt bildete da keine Ausnahme.
Valerie wusste, dass sie noch einen ziemlich langen Weg vor sich hatte.
Ihr Ziel lag auf der anderen - südlichen - Seite der Stadt.
Und sie fühlte sich so schwach…
Anfangs hatte sie diese Schwäche auf das Klima geschoben, aber inzwischen war sie sich in dem Punkt nicht mehr sicher.
Sie begann trotz der Hitze von weit über dreißig Grad im Schatten plötzlich vor Kälte zu zittern. Eine Gänsehaut überzog ihren gesamten Körper. Es fühlte sich beinahe wie Schüttelfrost an, und sie befürchtete schon, sich irgendeine Krankheit eingefangen zu haben.
Da ist es wieder… dieses absolut Kalte im Innern deiner Seele. Es wächst. Und es hat nichts mit Malaria oder Schüttelfrost oder all den anderen Dingen zu tun, die man sich vielleicht in so heißen, sumpfigen Gegenden holen kann…
Sie versuchte ihre Gedanken hinwegzuscheuchen.
Ein einziger Wirrwarr an Empfindungen und flüchtigen Geistesblitzen herrschte in ihr.
Es fiel ihr schwer, überhaupt noch einen klaren Gedanken zu fassen.
Sie lehnte sich an eine Haus wand.
Eine Fahrradrikscha hielt. Der Fahrer bot ihr seine Dienste als Taxi an und sprach dabei ein einigermaßen verständliches Französisch.
Valerie konnte nicht antworten. Ein dicker Kloß saß ihr im Hals. Sie nickte nur stumm und stieg zu dem Kambodschaner auf die Rikscha. Dort sank sie förmlich in sich zusammen.
Auf dem Dach eines dreistöckigen Hauses erblickte Valerie dann im nächsten Moment einen langschwänzigen Affen, der auf irgendetwas herumkaute.
Namenloses Entsetzen durchzuckte sie und riss sie aus der Apathie, die sie befallen hatte.
Eine Sekunde noch redete sie sich verzweifelt ein, dass es sich vielleicht um einen ganz gewöhnlichen Affen handelte, die einen heiligen Status genossen und deswegen nicht gejagt werden durften. Mancherorts waren sie in Südasien deswegen zur Plage geworden.
Aber in diesem Augenblick entfaltete das Wesen auf dem Dach seine Flügel. Jeder Zweifel war ausgeschlossen.
Dies war ein Lemure.
Ein Diener Heng Sons.
Nein!, schrie es in ihr. Wenn sie hier schon auf dich warten, dann ist es vielleicht schon zu spät… oh, Vater, was hast du nur getan!
»Mademoiselle? Wohin soll ich Sie bringen?«
Die Stimme des Rikschafahrers drang wie aus sehr weiter Ferne in ihr Bewusstsein.
Wie in Trance murmelten ihre Lippen eine Adresse.
»Bringen Sie mich zu Monsieur François Lon, 321 Boulevard Mao Tse Toung.«
»Kein Problem. Nummer 321 müsste in der Nähe vom Toul Tom Pon Market sein!«, gab der Rikschafahrer zurück.
Aber davon bekam Valerie schon nichts mehr mit.
Alles drehte sich vor ihren Augen.
Dunkelheit senkte sich wie ein Leichentuch über ihren Geist, und sie verlor das Bewusstsein.
***
Zamorra und Nicole waren in das Herrenhaus Pierre de Bressacs zurückgekehrt und stöberten dort nach etwas, was ihnen einen Hinweis darauf geben konnte, wohin Valerie verschwunden war.
»Ich wette, ihr Zielpunkt liegt irgendwo in Kambodscha. Möglicherweise mitten in den Ruinen von Angkor, wer weiß…«
»Leider ist uns kein Ort in Kambodscha bekannt, an dem es Regenbogenblumen gibt«, gab Zamorra zu bedenken, während sie sich erneut das Arbeitszimmer vornahmen - allerdings schon nach kurzer Zeit feststellten, dass dort wohl nichts mehr zu holen war. Zu gründlich hatten hier die Lemuren ihr Zerstörungswerk ausgeführt. Und was sie nicht vernichtet hatten, das war dann von den Spurensicherern der Kriminalpolizei davongeschleppt worden.
Also wandten sie sich einem der anderen Räume zu. Dutzende von Zimmern waren in diesem Herrenhaus mit Büchern und Studienmaterialien angefüllt. Wertvolle Kultgegenstände aus Südasien waren darunter, aber auch zahllose in Leder eingebundene Folianten und Hunderte von sorgfältig zusammengehefteten Ausgaben wissenschaftlicher Zeitschriften.
Die Lemuren schienen überall herumgetobt zu haben, sodass es überall erhebliche Beschädigungen gab. Was bei ihnen letztlich diesen furchtbaren Zerstörungstrieb ausgelöst hatte, war Zamorra nach wie vor ein Rätsel. Wenn es ihr Ziel gewesen war, Pierre de Bressac ebenso zu ermorden wie die meisten ehemaligen Mitglieder seiner Expeditionen, so machten die Verwüstungen einfach keinen Sinn.
Aber wenn man davon ausging,
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