0869 - Der Affengott
dass die Lemuren möglicherweise von ihrem Herrn und Meister dazu ausgesandt worden waren, um außer ihrem Mordauftrag auch noch nach etwas Bestimmtem zu suchen, lag die Sache anders.
In einem der verwüsteten Bibliotheksräume fiel Nicole ein Foto auf. Es hatte in einem Rahmen an der Wand gehangen und war offenbar heruntergerissen worden.
Es zeigte Pierre de Bressac zusammen mit einem sehr viel kleineren Kambodschaner. Der Kambodschaner war höchstens Mitte zwanzig.
Darunter stand handschriftlich: François und Pierre, Dezember 1975, Phnom Penh.
»Sieh dir das an«, sagte Nicole. »Wenn dieses Foto tatsächlich aus dem Jahr 1975 ist, dann war Pierre de Bressac damals schon so alt wie bei seinem Tod - also Ende fünfzig!«
»Dann hat de Bressac die Zeitreisefunktion der Regenbogenblumen genutzt«, stellte Zamorra fest und nahm Nicole dabei das Bild aus der Hand. »1975 stürzten die Guerillas der Roten Khmer das Lon Nol-Regime und marschierten in der Hauptstadt ein. Sie trieben die Bewohner auf das Land, um sie umzuerziehen. Schätzungsweise ein Drittel der eigenen Bevölkerung fiel dieser Umerziehung zum Opfer. Erst 1979, nachdem die Roten Khmer durch die vietnamesische Invasion gestürzt worden waren, kehrten die Städter langsam nach Phnom Penh zurück.«
»Das heißt, zum Zeitpunkt der Aufnahme war die Stadt menschenleer«, schloss Nicole.
Zamorra nickte. »Ja - und man brauchte damals wohl wirklich Regenbogenblumen, um dorthin oder von dort wieder wegzukommen«, antwortete Zamorra. »Ich frage mich, was de Bressac dort wollte.«
»Wir müssten wissen, wer der Mann neben ihm ist.«
»Ja.«
Zamorra betrachtete nachdenklich das Foto. Die beiden Männer hatten sich an einem Seeufer fotografieren lassen. Am anderen Ufer waren Ruinen zu sehen.
»Jeder Kambodschaner, der sich Ende 1975 in Phnom Penh aufhielt, war in tödlicher Gefahr, es sei denn, er war ein Roter Khmer.«
»Kriegen wir einfach heraus, wer ›François‹ ist!«, schlug Nicole vor.
Zamorra grinste.
»Nichts leichter als das! Aber vielleicht haben wir Glück und die Blumen befinden sich in einem Umkreis von 500 Metern um den Ort der Aufnahme… Versuch dir diesen See so intensiv wie möglich vorzustellen, Nicole! Ich werde das Gleiche tun.«
»Du meinst, dieses Bild reicht aus, um eine Vorstellung zu erzeugen, die stark genug ist, um einen Transfer mit den Regenbogenblumen zu ermöglichen?«
»Es käme auf einen Versuch an.«
»Worauf warten wir dann noch?«
***
Zamorra und Nicole gingen zunächst zum BMW 750i zurück. Von dort aus gab es eine Visofonverbindung zu Zamorras Computeranlage im Chateâu Montagne.
Der Meister des Übersinnlichen hatte den-Verdacht, dass es sich bei dem mysteriösen ›François‹ um jemanden handelte, der Pierre de Bressac früher auf Forschungsreisen begleitet hatte.
Zamorra hatte von diesem Personenkreis eine Liste angelegt, und das jeweilige Schicksal so weit möglich recherchiert.
Es gab insgesamt vier Personen mit dem Namen François auf dieser Liste. Zwei davon waren unter mysteriösen Umständen verstorben, ein dritter hatte derzeit einen Lehrauftrag an der University of California in Berkeley.
Nummer vier war zur einen Hälfte Franzose, zur anderen Kambodschaner. Er war schon als Student in de Bressacs Team gewesen. Neben Archäologie hatte er Botanik studiert und darin auch einen akademischen Grad erworben. Nachdem sich die politische Lage in seinem Heimatland vor ein paar Jahren einigermaßen beruhigt hatte, gab er seinen Lehrstuhl an der Sorbonne auf und kehrte nach Phnom Penh zurück.
»Das muss er sein!«, stellte Zamorra fest.
»Er ist Botaniker…«
»Du denkst, da gibt es eine Verbindung zu den Regenbogenblumen, Nicole?«
»Für einen Zufall halte ich das jedenfalls nicht.«
»Dann lass uns mal sehen, ob unsere Gedanken in die richtige Richtung gehen und es tatsächlich eine Verbindung per Regenbogenblumen nach Phnom Penh gibt, die uns bisher unbekannt war.«
Wenige Minuten später hatten Zamorra und Nicole die Regenbogenblumen erreicht. Das Foto hatten sie mitgenommen. Die Vorstellung in ihren Köpfen musste so intensiv wie möglich sein, andernfalls würde ein Transfer unmöglich bleiben.
Aber wenn sie per Regenbogenblumen direkt an den Zielort von Valeries Reise gelangten, hatten sie einen entscheidenden Zeitvorteil. Andernfalls hätten sie auf konventionelle Weise nach Kambodscha reisen müssen, und insbesondere die Mitnahme eines E-Blasters wäre dabei auf Grund der seit
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