0869 - Der Affengott
die Regenbogenblume und den Umgang mit ihnen zeigte.«
»Ja, das ist richtig.«
»Er erwähnte mal, dass man mit ihnen auch in die Vergangenheit reisen könnte und dass dies ein Segen für archäologische Forschungen wäre.«
»Er hat oft davon Gebrauch gemacht«, stimmte François Lon zu. »Vielleicht zu oft. Andernfalls wäre er vielleicht niemals mit jenen Mächten in Kontakt gekommen, die ihn schließlich dahingemetzelt haben… Er kam mit dem alten magischen Wissen der Khmer zurück in die Gegenwart. Und das war verhängnisvoll, wie du weißt.«
»Ich möchte, dass du in die Vergangenheit reist - an einen Zeitpunkt vor dem Lemurenangriff auf meinen Vater. Du kennst sein Haus, du weißt sogar, wo die Regenbogenblumen in dem verwilderten Garten stehen…«
»Das schon, aber…«
»Also wäre es möglich, ihn zu warnen, sodass er sich vorbereiten oder flüchten kann, bevor die von Heng Son gesandten Bestien über ihn herfallen.« Valerie schluckte. Bilder stiegen in ihr auf. Bilder von grässlichen Polizeifotos, die man ihr im Kommissariat für Tötungsdelikte in Marseille gezeigt hatte. Eine Identifikation war anhand der sterblichen Überreste Pierre de Bressacs gar nicht mehr möglich gewesen. Seine Uhr war mit zerkratztem Zifferblatt gefunden worden. Ansonsten war es nur anhand eines genetischen Vergleichs mit einer Speichelprobe von Valerie möglich gewesen, den Toten eindeutig zu identifizieren. Die junge Frau konnte nur mit eisigem Schauder daran zurückdenken.
»Ich würde dir gerne helfen, Valerie«, sagte François Lon gedehnt. Er suchte offenbar nach einer möglichst schonenden Formulierung, um ihr nicht helfen zu müssen.
»Und du wirst es auch!«, zischte Valerie. Wut keimte in ihr auf. Sie deutete auf das Foto an der Wand. »Wie war das 1975 hier in Phnom Pen? Die Menschen waren von den Roten Khmer aus der Stadt hinausgetrieben worden. Auf die küling fields , wo die neuen Machthaber Menschen, die sie für verdächtig hielten, im Akkord erschlagen haben. Erschlagen , wohlgemerkt, nicht erschossen , denn die Revolutionsregierung wollte keine Munition vergeuden und damit wertvolles Volksvermögen verschwenden. Sie haben auch dich geholt, François. Du hattest studiert - noch dazu im Ausland! Damit warst du noch viel verdächtiger als all die Ärzte und Lehrer, die per se als Volksfeinde angesehen wurden.«
»Hör auf, Valerie!«, fuhr Lon dazwischen.
»Und soll ich dir was sagen? Sie haben dich gekriegt, nachdem du dich hier eine Weile in den Ruinen versteckt hattest. Du wurdest erschlagen, wie so viele andere auch. Ein Schädel, zertrümmert von einem Gewehrkolben…«
»Lass das, das führt doch zu nichts!«
»Du willst die Wahrheit nicht gerne hören. Das kann ich verstehen. Aber wenn mein Vater nicht später in die Vergangenheit gereist wäre, um dich zu warnen und mit Hilfe der Regenbogenblumen außer Landes zu bringen, dann wärst du nicht mehr am Leben. Die Jahre, die du an der Sorbonne gelehrt hast, bis du schließlich zurückkehren konntest - sie würden nicht existieren. Und jetzt bitte ich dich, dasselbe für meinen Vater zu tun. Das ist nicht mehr als recht und billig, wie ich finde!«
Einige Augenblicke lang herrschte Schweigen.
François Lon ging ein paar Schritte auf und ab. Schließlich blieb er vor dem geöffneten Fenster stehen. Durch die Schlitze der heruntergezogenen Lamellen konnte man das bunte Treiben auf dem Toul Tom Pon Market sehen. Händler boten lauthals ihre Ware feil, der Duft von Garküchen drang herüber und ein Klangteppich aus menschlichen Stimmen erfüllte die Luft.
»Hat er dir das so erzählt?«, fragte Lon schließlich.
»Ja«, bestätige Valerie. »Das war, kurz nachdem ich wieder Kontakt mit ihm bekam. Ich sah dieses Bild in seinem Haus und fragte ihn, was es damit auf sich habe…«
»Es war anders«, erklärte Lon. »Die politischen Umwälzungen machten es für deinen Vater unmöglich, seine Forschungen in Kambodscha fortzuführen. Er war jung und sehr ehrgeizig. Das traf ihn natürlich sehr. Er hoffte auch nach dem Machtantritt der Roten Khmer bald weiterarbeiten zu können. Aber dafür waren die Regenbogenblumen unerlässlich, denn die Reisen in die Vergangenheit bescherten ihm wichtige Erkenntnisse. Ich hatte das Land zusammen mit deinem Vater rechtzeitig verlassen, als die Roten Khmer in die Hauptstadt einzogen. Aber dein Vater machte sich Sorgen um den Erhalt der Regenbogenblumen. Es gibt welche hier in Phnom Penh, aber auch eine Kolonie in
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