0871 - Der silberne Tod
zahlreichen Gespenstern umgeben zu sein. Es mochte auch an der stickigen Luft liegen.
An der entsprechenden Tür klopfte ich an und betrat das Zimmer. Ramona war noch da. Sie hatte das Fenster geöffnet und saß neben dem Bett, auf dem Suko lag. Als ich eintrat, drehte sie den Kopf.
Ich schloß die Tür. »Wie sieht es aus?«
Sie hob die Schultern.
»Nicht gut?«
»Ich weiß es nicht. Er ist so still.« Sie deutete auf den neben ihr stehenden Erste-Hilfe-Kasten. »Ich habe die Wunde gesäubert und alles getan, was in meinen bescheidenen Kräften stand, aber er liegt noch immer in tiefer Bewußtlosigkeit.«
»Leider.« Ich holte mir einen zweiten Stuhl herbei. Er war für ein Kind passend, für mich aber zu klein. Über dem Bett bewegte sich im leichten Luftzug ein buntes Mobile. Der Schein einer kleinen Leuchte verteilte sich über Sukos Gestalt bis hin zu seinem Gesicht, das mir in seiner Blässe und Starre so fremd vorkam. Ich legte eine Hand auf seine Stirn. Sie fühlte sich trocken an. Wahrscheinlich hatte Ramona den Schweiß abgetupft. Suko atmete, aber es war kaum zu hören.
Ramona sprach mich an. »Haben Sie eine Ahnung, was mit ihm geschehen soll? Wir können ihn ja nicht für Tage hier liegenlassen. Ich meine, es geht schon, falls es keine andere Möglichkeit gibt, aber ich bin doch ein wenig skeptisch.«
»Wir werden ihn mitnehmen.«
»Transportieren?«
»So ist es.«
»Was gefährlich sein kann. Vielleicht ist in seinem Kopf etwas zerstört worden, das einen Transport nicht zuläßt. Ich möchte dafür die Verantwortung nicht übernehmen.«
Möglicherweise hatte Ramona recht. Aber was sollte ich tun? Ich steckte ebenfalls in einer Zwickmühle, nicht nur Joseph Lacombe.
Und dann geschah das Wunder. Urplötzlich zuckten Sukos Augenlider, und einen Moment später schaute er mich an.
»Suko!« flüsterte ich.
Auch Ramona war zusammengeschreckt. Sie saß da mit offenem Mund und konnte die Veränderung nicht begreifen. Sie hatte alles getan und auch die Wunde mit einem Pflaster bedeckt, aber einen Erfolg wie diesen hatte sie nicht erreichen können.
Der Blick meines Freundes war nicht normal. Er kam mir nach innen gerichtet vor, als wäre Suko dabei, über einen intensiven Traum nachzudenken, der ihm während seiner Bewußtlosigkeit überfallen hatte. Er mußte mich sehen, doch er gab mit keiner Regung zu erkennen, daß er mich auch erkannte.
Ich versuchte es mit einem Lächeln. Bei Suko erlebte ich keine Reaktion. Dann sprach ich ihn wieder an. Vielleicht schaffte er es ja, sich auf meine Stimme zu konzentrieren.
Er bewegte den Mund, wollte mir etwas sagen, und ich konnte mir auch schon denken, was es war.
»Bitte, Ramona, besorgen Sie ein Glas Wasser, wenn möglich.«
»Ja, gern.«
Ich wartete, bis sie mir das Glas reichte. Sukos Verhalten zeigte keine Veränderung. Es gab auch kein Anzeichen dafür, daß er einen tiefen Schmerz spürte. Er lag einfach nur da und reagierte wenig später rein mechanisch, als das Wasser seine Lippen benetzte. Er trank es mit kleinen Schlucken, und ich hoffte nun, daß er auch wieder sprechen konnte.
Als das Glas leer war, sah ich zum erstenmal ein Lächeln auf seinen Lippen. Und ich hörte, wie er meinen Namen flüsterte. Die Stimme war nicht mehr als ein Hauch.
»John…«
Ich beugte mich tiefer. Ramona hielt sich im Hintergrund auf. Sie stand dort wie ein Schattenbild.
Der Wind wehte durch das Fenster und spielte mit ihren Locken.
»Okay, ich bin hier.«
»Ja, ja, ich sehe dich. Nur so verschwommen, weißt du?«
»Klar, Alter.«
»Ich spüre in meinem Kopf ein Brennen«, sagte er langsam und monoton. »Als hätte jemand dort hineingestochen, mit einem Messer oder, so.«
»Klar, ich verstehe.«
Suko legte eine Pause ein. Sicherlich grübelte er über seine nächsten Worte nach. »Es ist alles so schwer für mich, die Erinnerung zurückzufinden. Ich bin plötzlich in ein tiefes Loch gefallen, und alles brach über mir zusammen. Das war schlimm, ich war kein Mensch mehr, ich lag in der Schwärze. Hat man wirklich auf mich geschossen? Es fällt mir schwer, mich zu erinnern.«
»Ja, du hast einen Streifschuß am Kopf abbekommen.«
»Deshalb das Brennen.«
»Du wirst es überstehen«, sagte ich lächelnd. »Bei deinem Eisenschädel.«
»Sicher ein guter Witz…«
»Nein, keiner…«
»Das war noch nicht alles, John«, flüsterte Suko. »Mit mir ist etwas passiert, gegen das ich mich nicht wehren konnte. Es hat mich aufgewühlt, obwohl ich
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