0871 - Der silberne Tod
Gegenteil. »Er wird kommen, John, ich bin davon überzeugt. Nicht die Diener des Dämons Baphomet, sondern der verfluchte Rächer. Die anderen wissen genau, daß sie nichts zu tun brauchen. Sie können ihm alles überlassen. Er ist schnell, er weiß Bescheid, er ist wie ein Phantom in der Dunkelheit.«
»Noch haben wir ihn nicht gesehen. Es ist alles Theorie, Joseph.«
»Nein, nein. Sind die anderen Toten auch eine Theorie? Warum hat der Abbé euch beiden denn Bescheid gegeben - warum? Doch nicht, weil alles nur die reine Theorie ist. Nein, da steckt mehr dahinter, viel mehr, das kann ich Ihnen versichern.«
»Wer hat ihn gesehen?«
»Ich habe keine Ahnung.«
»Sie wissen nicht, wie er aussieht?«
»So ist es.«
Suko hatte unser Gespräch verfolgt und meldete sich vom Rücksitz her. »Aber er ist da, John, verlaß dich auf Joseph. Ich habe ihn sogar in meiner tiefen Bewußtlosigkeit gespürt. Er muß da sein.«
»Gut, richten wir uns auf ihn ein.«
»Und wie?« fragte mich Joseph.
»Wenn wir ihn als böse ansehen, müssen wir ihm das genaue Gegenteil davon präsentieren.« Nach diesen Worten holte ich mit einer Hand mein Kreuz hervor und ließ es frei vor meiner Brust baumeln.
Joseph bedachte es von der Seite mit einem scheuen Blick. Dann sagte er leise: »Es ist prächtig.«
»Ich bin auch stolz darauf.«
»Darf ich es berühren?«
»Wenn Sie wollen.«
Er streckte den linken Arm aus und ließ seine Fingerspitzen über das Metall gleiten. Als er die Hand wieder zurückzog, atmete er tief ein. »Da ist etwas gewesen«, sagte er leise. »Ich habe es genau mitbekommen. Dieses Kreuz hat was.«
»Stimmt.«
»Ich fühle mich aber nicht besser.«
»So schnell kann es nicht gehen.«
Lacombe hob die Schultern und senkte danach den Kopf. Er machte den Eindruck eines Menschen, der sich entschlossen hatte, in einen Schlaf zu fallen.
Schweigend setzten wir unsere Fahrt fort. Bisher hatte uns die Straße noch durch keinen Ort geführt, was sich allerdings jetzt änderte. Nur wenige Lichter brannten hinter den Fenstern der Häuser, die sich auf dem hügeligen Gelände verteilten. Die meisten Menschen lagen im Bett. Nur vor zwei Lokalen hatten sich junge Leute versammelt, die unseren beiden Wagen nahezu erstaunt nachschauten, als könnten sie nicht begreifen, daß jemand um diese Nachtzeit noch durch ihr Dorf fuhr.
Ich hatte versucht, meine Gefühle auszuschalten, was mir nicht ganz gelungen war. Zwar kam ich mir vor wie in Watte gepackt, gleichzeitig aber stand ich innerlich unter einem starken Spannungsbogen, der jeden Moment reißen konnte.
Noch aber hielt er.
Wir erreichten das Ende der Ortschaft. Und hier teilte sich auch die Straße. Ich fuhr langsamer und warf zugleich einen Blick in den Rückspiegel, weil ich am Blinklicht des anderen Wagens erkennen wollte, in welche Richtung wir mußten.
Wir mußten nach rechts.
Ich ließ das Fenster nach unten gleiten, streckte einen Arm aus und winkte das Dankeschön den beiden anderen zu. Die Strecke führte bergauf. Ich war schon einige Male in dieser Gegend gewesen und rechnete damit, daß wir allmählich in das hügelige und auch etwas höher liegende Gebiet um Alet-les-Bains gelangten. Über uns spannte sich noch immer der Sternenhimmel wie ein dunkles, leicht löchriges Tuch und ein voller Halbmond beobachtete die Welt.
Die Einsamkeit schluckte uns wieder. Auch hier lag der Staub auf den Straßen, der Sommer war einfach zu trocken und heiß gewesen. Das Land lechzte nach Regen, nach Unmengen von Wasser, damit endlich die breiten Risse im Boden verschwanden.
Auch Joseph Lacombe redete wieder. Was er sagte, gefiel mir überhaupt nicht: »Die Gefahr ist da!«
»Wieso?«
»Sie ist nahe.«
»Was hat Sie dazu bewogen?«
»Halten Sie an!«
Als er es sagte, flackerte am Wagen hinter uns das Licht einige Male. Da wollte mir jemand ein Zeichen geben.
Ich stoppte.
Zwei Sekunden später fielen aus dem Dunkel an der linken Seite die Schüsse, und zwei Kugeln zerfetzten den linken Vorder- und den linken Hinterreifen…
***
»Sie sind unruhig, Abbé«, sagte die junge Ramona und erntete keinen Widerspruch. Sie wollte aber mehr wissen, deshalb hakte sie nach. »Warum sind Sie nervös? Was ist passiert?«
»Nichts.«
»Gute Antwort.«
»Aber nicht so aufzufassen, wie ich sie gesagt habe. Noch ist nichts passiert.«
»Rechnen Sie denn damit?«
»Stärker als bei unserer Abfahrt.«
»Pardon, Abbé, mich kann das nicht überzeugen, wenn ich ehrlich bin. Ich
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