0871 - Der silberne Tod
lächelnd.
Sie nickte nur. »Ich muß den Toten einladen«, sagte sie.
Ich half ihr dabei. Sie fing wieder an zu weinen, als wir die Leiche auf den Rücksitz legten Suko hatte den Motor des Renaults gestartet; obwohl nur mehr zwei Reifen intakt waren, wollte er doch fahren. Wir würden zwar viel zerstören, aber schlecht gefahren war noch immer besser als gut gelaufen.
Von Ramona verabschiedeten wir uns. Sie war sicher, daß wir uns noch sehen würden. Dann ließen wir sie fahren, stiegen selbst in den zweiten Wagen und machten uns auf den Rückweg.
Ich dachte daran, daß man immer wieder etwas Neues im Leben durchmachte. Und wenn es nur eine Fahrt mit zwei zerschossenen Autoreifen war…
***
Vor dem Dorf hatten wir den Renault an einer einigermaßen günstigen Stelle stehengelassen, wo er auch nicht sofort entdeckt werden konnte. Er stand jetzt in einem halb zerfallenen Schuppen, dessen rechte Seite völlig offen gewesen war. Mit einer alten Plane hatten wir den Renault sogar noch tarnen können.
Den Rest des Wegs hatten wir dann zu Fuß zurückgelegt. Unsere schlimmste Befürchtung war nicht eingetreten, denn bei diesem trockenen, warmen Wetter auch in der Nacht lagen die Menschen noch nicht in den Betten. Wir ließen dem Abbé den Vortritt, der mit einigen Leuten sprach, die in einem Garten zusammensaßen und im Schein bunter Lampions Wein und Bier tranken.
Ich wurde etwas neidisch auf die Menschen, denn das hätte auch mir gefallen können. Statt dessen aber bewegten wir uns durch die Dunkelheit, um nach einem silbernen Skelett Ausschau zu halten, das sich mordend durch den Schutz der Nacht bewegte.
Ich erkundigte mich auch nach Sukos Befinden und bekam zuerst als Antwort ein Heben der Schultern. »Es geht etwas besser. Ich werde mich schon durchschlagen, alter Junge.«
»Das hoffe ich doch stark.«
Es dauerte nicht lange, da wurde das kleine Gartentor aufgestoßen, und der Abbé erschien wieder.
Eine Frau in mittleren Jahren und mit einem weißen, zu kurzen Kleid bekleidet, war an seiner Seite.
»Madame hat sich bereit erklärt, uns zu helfen«, sagte der Abbé. »Sie wird uns ihren Wagen zur Verfügung stellen.« Er lächelte. »Ohne Kaution.«
»Ja«, bestätigte Madame. »Man soll ja einem Pfarrer helfen.« Sie lachte zu hell. »Vielleicht bringt mich das ein Stück dem Himmel näher und zählt später bei der Abrechnung.«
»Sicher, Madame«, sagte Bloch. Die Frau, die nicht mehr ganz nüchtern war, glaubte es ihm.
Wir mußten an die andere Seite des Hauses gehen, wo eine Zufahrt zu einem Carport führte. Auf der Zufahrt stand ein betagter Simca, der sicherlich schon fünfzehn Jahre auf dem Buckel hatte. Sie schlug mit der Hand auf das hellgrün lackierte Dach. »Dieser Wagen ist zwar alt, aber er ist fit wie ein Turnschuh. Ihr werdet es merken. Die Türen sind offen, und der Schlüssel steckt. Viel Spaß damit!« Sie ging zurück, lachte und verschwand wieder.
»Wie hast du das denn geschafft?« fragte ich unseren Freund.
Bloch lächelte. »Tja, als Geistlicher muß man eben eine gewisse Überzeugungskraft besitzen, sonst lohnt es sich nicht, diesen Beruf zu ergreifen.«
»Da hast du recht«, gab Suko zu.
Wir stiegen ein. Ich übernahm das Lenkrad, schaltete die Gänge probehalber durch und war zufrieden, daß alle wunderbar funktionierten. Der Fahrt stand nichts mehr im Wege, denn auch im Tank befand sich noch genügend Sprit.
Ich setzte rückwärts aus der Zufahrt. Keiner kümmerte sich um uns. Die Menschen feierten weiter.
Uns aber war nicht danach zumute, denn unser nächstes Ziel war ein düsteres, ein geheimnisvolles und unheimliches - die enge Schlucht in den Bergen um Alet-les-Bains, die auch als Kathedrale der Angst bezeichnet wurde.
***
Terribilis est locus iste!
So hatte es einmal auf einer der beiden Säulen gestanden, die den Eingang zur Schlucht markierten.
Dieser Ort ist schrecklich, eine Warnung für alle Mutigen, die die Schlucht betreten wollten, aber die Warnung gab es nicht mehr. Sie war verschwunden, doch die Schlucht bestand nach wie vor, und sie hatte auch ihren alten Namen behalten, eben die Kathedrale der Angst.
Sie lag nicht weit von der kleinen Stadt Alet-les-Bains entfernt, ebenfalls in diesem gewaltigen Hochtal, wo es den Zugang zur Schlucht gab.
Da bestand der Untergrund aus schwarzem Gestein, auf dem kaum ein Grashalm wuchs. Reste eines Vulkanausbruchs, der vor unendlich langer Zeit einmal die Umgebung in eine Feuerhölle verwandelt haben mußte.
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