0871 - Der silberne Tod
Jetzt war alles erkaltet, die Schwärze war geblieben, und wir bewegten uns auf einem porösen Boden.
Von Alet-les-Bains war es zwar ein Katzensprung, aber man mußte die Entfernung schon mit einem Wagen überbrücken. Der Fußweg zog sich doch in die Länge.
Wir waren mit dem Simca gekommen und zuvor nicht in die Hochburg der Templer gefahren.
Die letzten Meter waren wir zu Fuß gegangen, um die Reifen des Autos nicht auf dem Basaltgestein überzustrapazieren. Und nun standen wir vor dem Eingang.
Wie gesagt, die Säulen gab es immer noch. Nur war die ehemalige Schrift verschwunden, nichts warnte den einsamen Wanderer, aber auch so würde es ihn kaum locken, die enge Schlucht zu betreten. Selbst im Bereich des Eingangs war sie einfach zu düster und unheimlich, und ihre Dunkelheit zwischen den Wänden schien sich in der Unendlichkeit anderer Dimensionen zu verlieren.
Für Suko, den Abbé und mich war die Kathedrale der Angst noch immer etwas Besonderes. Ein mit Magie gefülltes Kleinod inmitten einer normalen Welt, aber auch ein Ort der Vergangenheit, der in die Gegenwart hineingesetzt worden war.
Ich wußte am Ende der Schlucht einen Sarg. Und in diesem Sarg lag das silberne Skelett meines Vorfahren Hector de Valois, dieses mächtigen Anführers der Templer, der Geschichte gemacht hatte, um nach seinem Tod in der Kathedrale der Angst seine letzte Ruhestätte zu finden.
Er war tot und lebte trotzdem.
Daß er seinen Sarg verlassen konnte, hatte er uns bewiesen, als er sich gegen Baphomets Totenbrut gestemmt hatte. Er stand voll und ganz auf unserer Seite, und für mich war es ein Rätsel und auch jetzt noch nicht faßbar, daß er seinen Platz verlassen hatte, um abtrünnige Templer hinzurichten, denn nichts anderes waren die beiden Aktionen gewesen. Regelrechte Hinrichtungen.
Meine Freunde ahnten, wie es in mir aussah. Sie stellten die Fragen nicht mit den Mündern, sondern mit den Augen, und sie sahen mein verloren wirkendes Lächeln.
»Willst du hier draußen bleiben?« fragte Suko.
»Auf keinen Fall.«
»Du rechnest auch damit, daß uns Hector de Valois als Feind gegenübersteht?«
»Natürlich. Ich habe mich damit abgefunden. Hätte ich es nicht getan, dann hätte ich auch nicht auf ihn geschossen.«
»Da hat er recht, Suko«, sagte auch der Abbé.
»Okay, dann gehen wir.« Suko war Zwar nicht richtig fit, aber das sollten wir nicht merken, deshalb gab er sich bewußt forsch. Als er seine Lampe hervorgeholt hatte, mußte er sich schon fier einen Moment gegen die Säule lehnen und eine kleine Pause einlegen.
»Bist du okay?« fragte ich.
»Es geht schon wieder.«
Ich machte den Anfang. Der Abbé trug keine Taschenlampe bei sich. Unsere beiden Lichtquellen reichten zudem aus. Auch wenn die Strahlen schmal waren, so rissen sie doch lange Bahnen in die Dunkelheit der engen Schlucht. Ich schaute nach oben, weil ich den Himmel sehen wollte. Es war kaum möglich, denn am Ende schienen die Wände zusammenzuwachsen, so daß selbst die Sterne verschwanden.
Es fiel selbst mir schwer, diesen Ort genau zu bestimmen. Ich hätte das richtige Wort kaum gefunden. War er magisch, mystisch oder auf irgendeine Art und Weise verwunschen?
Hier kam wohl alles zusammen. Jedenfalls war er von einem Geist durchdrungen, der auch von Hector de Valois ausging, der auch positiv war, denn wäre es anders gewesen, hätte es zumindest mein Kreuz gespürt, das offen vor der Brust hing. Es reagierte nicht, es sandte keine Warnung aus, aber es hatte mich auch nicht vor dem silbernen Skelett an der Straße gewarnt, und so maß ich dem nicht viel Bedeutung bei.
Auf der Fahrt zur Kathedrale hatten wir natürlich die Augen offengehalten, aber nicht die Spur eines Schimmers gesehen. Das silberne Skelett hielt sich sehr versteckt, wobei es auch möglich war, daß es wieder einen Platz im Sarg am Ende der Kathedrale eingenommen hatte. Es gab so viele Widersprüche in meiner Rechnung. Ich dachte an das Siegel der Templer, diesen achthundert Jahre alten Stein, der einmal Richard Löwenherz gehört hatte und sich nun als Grabbeigabe im Besitz des silbernen Skeletts befand.
Da kam so vieles zusammen, das auch den toten Hector de Valois zu einer gerechten Person machte, und deshalb verstand ich diese gnadenlose Rachetour nicht.
Etwas mußte sich verändert haben. Eine andere Macht womöglich hatte ihn regelrecht umgepolt, aber wer diese Macht gewesen war, das wußte ich nicht. Da konnten mir auch der Abbé und Suko keinen Rat geben, deren
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