0872 - Der Templer-Friedhof
der Jahrhunderte von diesem Zeitpunkt entfernt war und ein völlig anderes Leben führte. Er war zu einem Zeugen geworden und verdankte dies einzig und allein der Magie des Knochensessels.
Diesmal hatte das makabre Sitzmöbel anders reagiert. Es hatte ihn nicht tief hinein in eine andere Zeit oder eine andere Dimension hineinkatapultiert, es hatte ihm nur die Augen geöffnet, und so konnte er miterleben, was in der Vergangenheit geschah.
Es gab keine Leinwand, auf der sich die einzelnen Posen abzeichneten. Es war nichts vorhanden, er sah die Bilder, und wenn er die Augen für einen Moment schloß, um einen Test zu starten, dann waren die Bilder verschwunden.
Sie existierten also nicht in seinen Gedanken, sie hatten sich in die Realität hineingeschoben und gewaltige Brücken gebaut, mit der sie die Zeiten überspannten.
Suko hielt immer wieder den Atem an, weil er gewisse Dinge nicht so einfach begreifen konnte.
Noch immer klopfte sein Herz stark. Er spürte den kalten Schauer auf seinem Rücken, und er hatte dabei das Gefühl, von unsichtbaren Händen gestreichelt und liebkost zu werden. Er spürte auch den Gegendruck des Sessels nicht mehr. Suko saß auf ihm, und doch schwebte er in einem Vakuum.
Ein Mensch zwischen den Zeiten?
Er wüßte es nicht. Es war alles so anders gekommen, aber er war nicht in der Lage, sich der Faszination der Bilder zu entziehen. Er dachte daran, daß er und seine Freunde das silberne Skelett gejagt hatten und ohne Erfolg geblieben waren.
Nun schaute er der Geburt zu.
Es ärgerte ihn, daß er sich zu spät auf den Sessel gesetzt hatte. Bestimmt hätte er sonst noch mehr Dinge mitbekommen.
Das Skelett hatte sich nun zu seiner vollen Größe aufgerichtet. Es stand inmitten der Flammen, die sich kaum senkten. Sie umtanzten den knöchernen Rächer wie ein schauriger Mantel, und der häßliche Totenschädel sah aus, als hätte er sich vom Körper gelöst und würde kurzerhand in der Luft schweben.
Es war der reine magische Wahnsinn!
Suko blieb fasziniert, aber es gelang ihm auch, sich visuell von dem Skelett zu trennen und den Blick durch die Umgebung schweifen zu lassen. Die Flammen gaben genügend Licht, um die Umgebung nicht im Dunkeln zu lassen. Suko konnte sehen, daß dieses hohe Feuer den Mittelpunkt eines Lagers bildete. Er sah noch andere Feuer, kleinere allerdings, und auch Zelte, wobei eines sich besonders groß von den übrigen abhob.
Auf andere Dinge konzentrierte er sich nicht. Er wunderte sich nur darüber, wie menschenleer dieses Lager war. Nirgendwo anders sah er eine Bewegung. Kein Soldat erschien, nicht mal ein Hund oder eine Katze huschten durch die Umgebung.
Aber das Skelett stampfte vor. Es ließ das Feuer hinter sich, und Suko konnte es deutlicher erkennen. In der Tat gab es keinen Unterschied zu dem Knöchernen, den sie gejagt hatten. Die Gebeine schimmerten, als wären sie mit einer dünnen Silberschicht überzogen worden. Nur die leeren Augenhöhlen des Kopfes verströmten eine gewisse Düsternis. Sie wirkten wie Eingänge zu den tiefsten Höhlen einer unheimlich und absolut finsteren Welt.
Das Skelett bewegte sich.
Suko rührte sich nicht vom Fleck. Auch wenn er es gewollt hätte, er hätte es sicherlich nicht gekonnt, denn die Eindrücke und auch die Kraft des Sessels waren stärker als er.
Sehr genau beobachtete er die ersten Schrittbewegungen des Knöchernen. Er hob sein rechtes Bein an, was mehr einem Zucken glich, als hätte sich eine überdimensionale Mücke in die Höhe gestemmt. Die Bewegungen des Unheimlichen waren noch müde, er mußte sich erst an den neuen Zustand gewöhnen, doch einen Gegenstand entdeckte Suko nicht, obwohl er danach suchte.
Das Skelett trug keinen Revolver. Beide Knochenhände waren frei. Sie baumelten nach unten, und bei jedem Schritt schlenkerten die Arme wie Pendel hin und her.
Suko ging davon aus, daß der knöcherne Mörder ein Ziel hatte. Seine Gehbewegungen waren auf ein bestimmtes Ziel ausgerichtet. Wenn ihn seine Augen nicht sehr täuschten, dann ging der Knöcherne auf das große Zelt zu, bei dem Suko noch keinen Eingang gesehen hatte.
Warten.
Bei ihm stieg die Spannung.
Er mußte einfach davon ausgehen, daß bald etwas passieren würde.
Vorn und in der Mitte des Zeltes bewegte sich die Plane. Ein Spalt entstand, der nur zögernd an Breite zunahm. Innerhalb dieser Lücke bewegte sich etwas.
Der Inspektor schaute fasziniert zu. Er sah eine Hand, dann noch eine - und zwei Gesichter.
Er schrie nicht,
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