0874 - Das Tier
Wir haben uns doch immer gut verstanden, das wissen wir beide. Du warst mein Sonnenschein, Marty. Du und kein anderer. Ich habe mir einen Sohn gewünscht, und ich habe ihn bekommen. Das ist wunderbar gewesen für mich. Das war einfach super, wenn du verstehst.«
Er schwieg. Er wollte nicht reden. Ja, sie hatte ihn geboren, das stimmte, und er mußte auch zugeben, daß eine großartige Kindheit hinter ihm lag. Dann aber hatte es den Bruch gegeben. Er war nicht mehr er selbst. Er war da in etwas hineingeraten, das in Mord und Tod enden würde und all den Schrecken der Hölle über ihn bringen würde.
Er flüsterte etwas, was seine Mutter nicht verstanden hatte. Sie hakte sofort nach. »Was hast du gesagt?«
»Du bist nicht meine Mutter!«
Susan Stone antwortete zuerst mit einem Lachen. »Und ob ich deine Mutter bin. Ich muß es selbst am besten wissen. Natürlich bin ich deine Mutter. Was redest du denn da?«
Marty ballte seine Hände. »Ich will es aber nicht. Ich will einfach nicht, daß du meine Mutter bist.«
Er lehnte sich gegen sie auf. »Nicht du, verflucht! Nicht eine Frau, die… so kenne ich dich nicht. Du gehörst nicht in das Limelight. Diese Disco ist für uns. Wir wollen hier einen anderen Weg suchen, und ich bin dabei.« Er nickte. »Ja, ich bin dabei, und ich werde auch nicht verschwinden!«
»Das verlangt keiner von dir, mein Junge. Aber du mußt auch mich verstehen, wirklich.«
Marty hörte ihre Tritte. Er öffnete die Augen. Seine Mutter bewegte sich auf ihn zu. Auf ihrem jetzt schleierlosen Gesicht lag ein Lächeln. Es war der Ausdruck der Gewinnerin. Ein unverhohlener Triumph, das Zeichen, es geschafft zu haben. Dicht vor ihrem Sohn blieb sie stehen und schaute auf seinen Kopf.
Der Junge bewegte sich nicht. Er hatte seine Hände rechts und links auf die Stufe gedrückt, die Finger gekrümmt und umklammerte die Ränder mit harten Griffen.
»Sperr dich nicht gegen mich, Marty!« flüsterte seine Mutter. »Es ist noch nicht zu Ende.« Sie bewegte sich. Marty hörte das Rascheln des Kleiderstoffes. Sie glitt tiefer, streckte die Arme aus, weil sie ihn umfassen wollte.
Dann spürte er ihre Bemühungen und schrak zusammen. Es kam ihm vor, als hätte jemand Eis auf seine Schultern gelegt. Marty versteifte sich. Er wollte nicht mehr. Er war völlig durcheinander. Auf der einen Seite liebte er die Atmosphäre der Kirchen-Disco, auf der anderen aber mußte er plötzlich erkennen, daß seine Mutter in dieser Disco eine besondere Rolle spielte. Sie kannte sich besser aus als er und die anderen Gäste. Sie war in diesen Keller hineingegangen, als hätte sie nichts anderes zuvor getan. Sie war eine Frau, die sich auskannte und die Umgebung hier beherrschte. Er spürte den harten Druck der Fingerkuppen und wußte auch, daß er sich dagegen nicht wehren konnte.
»Hoch mit dir!«
Marty stand auf. Er war ein kräftiger, junger Mann, jetzt aber fühlte er sich völlig losgelöst. Marty schwamm innerhalb des trüben Lichtkreises. Er war nicht mehr er selbst. Er bewegte sich irgendwohin, ohne aber den Platz zu wechseln.
»He, was ist mir dir?«
»Nichts.«
»Wunderbar«, sagte sie plötzlich. »Es wird alles so ablaufen, wie ich es mir vorgestellt habe.« Sie hielt den Kopf etwas gesenkt. Martys Augen waren geschlossen. Der Atem seiner Mutter traf sein Gesicht.
Ohne die Augen zu öffnen, fragte er: »Was wird geschehen? Was hast du damit gemeint?«
»Laß dich überraschen.«
»Gehen wir?«
»Ja.«
»Wohin denn?«
»Keine Sorge, wir werden verschwinden.. Wir werden uns auf den Weg machen, du und ich. Alles wird wunderbar sein, mein Junge. Wir werden den Weg gemeinsam gehen. Du wirst jemand kennenlernen. Du wirst ihn sehen, endlich, kann ich nur sagen.«
»Wen werde ich sehen?«
»Unter anderem Johnny.«
»Wie? Der Johnny?«
»Ja.«
Marty wollte es noch genauer wissen. »Der Johnny Conolly, den ich versucht habe…?«
»Richtig, Marty, richtig. Ich habe ihn geholt. Du mußtest doch deinen Auftrag erfüllen.«
Das Wort Auftrag versetzte ihm einen Stich. Marty glaubte, seine Brust würde zerteilt werden. Auftrag! Wie sich das anhörte! Himmel, er hatte keinen Auftrag erhalten! Wer sollte ihm denn…?
Seine Gedanken stockten. Plötzlich sah er die Szene wieder vor sich. Sie tauchte auf wie aus einer nebligen Umgebung, war für ihn dennoch klar zu erkenne. Die beiden Jungen - Johnny und er. Sie stellten ihre Räder ab. Alles war normal abgelaufen. Die Schule, die Fahrt nach Hause, es lief so
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