0879 - Das Erdmonster
Allerdings bin ich ein Mensch, der immer nach einem Ansatz sucht, um sie lösen zu können. Ich suche nach der Stelle, wo ich damit beginnen kann, den Berg abzutragen. Das habe ich einfach gelernt, es ist mein Beruf. Man hat es mir seit meinem Volontariat eingetrichtert, und ich kann nicht anders denken.«
»Hast du denn einen Ansatz gefunden?« wollte Delphi wissen.
Für einen Moment schaute sie ins Leere und verengte dabei die Augen. »Ich glaube schon, diesen Ansatz gefunden zu haben. Es gibt eigentlich nur eine Stelle, wo der Hebel angesetzt werden muß. Es ist das geheimnisvolle Licht. Für mich ist es der Anfang und auch das Ende. Oder liege ich da falsch?«
Delphi atmete seufzend. »So leid es mir tut, ich muß dir recht geben, Jill.«
»Weshalb tut es dir leid?«
Delphi lächelte. »Das ist schwer zu sagen. Dieses Licht ist ein Phänomen. Im Prinzip bin ich dafür, aber ich muß auch dagegen sein, denn es zerstört. Das hast du selber erlebt. Es ist hier entstanden, wobei ich der Meinung bin, daß dieses Licht überall auf der Welt vorhanden ist. Aber hier fängt es an, seine Prioritäten zu setzen. Im Prinzip ist es positiv, aber auch ich will nicht, daß Menschen und Tiere sterben. Es muß in seine Schranken verwiesen werden.«
»Willst du das tun?«
Delphi hob die Schultern.
»Soll ich es tun?«
Ein feines, aber auch verloren wirkendes Lächeln umspielte die Lippen der Einsiedlerin. »Kannst du es?«
»Ich wüßte nicht, wie ich es schaffen soll.«
»Eben.«
»Aber du weißt mehr.«
Delphi legte die Stirn in Falten. Sie strich durch ihr Gesicht und sah plötzlich sehr müde aus. »Vielleicht weiß ich auch mehr, aber dieses Mehr an Wissen nutzt uns nichts. Das Licht ist nicht normal. Du kannst es nicht einfach ein- und abschalten wie den elektrischen Strom. Es ist… wie soll ich sagen? Es ist ein Geist. Es ist eine Kraft, aber keine Elektrizität. Es ist im eigentlichen Sinne des Wortes auch keine Physik, es war schon immer da, es gehört eben zu dieser Welt, in der wir leben. Nur hat es sich bisher verborgen gehalten in den Tiefen der Erde. Und es schöpft immer wieder Energie, um existieren zu können. Deshalb wird es so schnell wohl nicht erlöschen.«
»Wo befindet sich denn die Energiequelle?«
»Ich weiß es nicht, aber sie ist vorhanden. Ich habe darüber nachgedacht, einen Beweis habe ich nicht bekommen, aber ich könnte mir vorstellen, daß es genügend Quellen gibt auf dieser Welt. Es ist geheimnisvoll, aber es gibt eine Erklärung. Nur ist diese schwer zu begreifen.«
Jill McCall hatte genau zugehört. Sie hatte auch zur Kaffeekanne gegriffen und schenkte ein. »Das hört sich an, als hättest du dich schon länger damit beschäftigt.«
»Was ich auch habe.«
»Und wo liegt der Erfolg?«
»Ich kann es dir nicht sagen. Wir müssen das Licht akzeptieren, ob du nun willst oder nicht.«
Jill trank wieder. Den Schock der Nacht hatte sie überwunden. Auch wenn immer wieder die Erinnerungen sehr bildhaft in ihr hochstiegen, so wollte sie sich doch nicht damit beschäftigen, sondern nach vorn schauen. Don Morgan konnte nicht mehr zum Leben erweckt werden, aber das Licht war wichtig, sein Mörder. Sie war von Delphi gerettet worden. Sie wußte kaum etwas über diese Person, aber sie hatten plötzlich das Gefühl, daß Delphi nicht mit offenen Karten spielte. Daß sie mehr wußte, als sie zugeben wollte und wohl eine Ahnung hatte, woher das Licht gekommen war.
Sie trank wieder.
Ihr Blick glitt durch die Hütte, erfaßte auch das Fenster. Hinter der Scheibe lag die Helligkeit des Herbsttages.
Und darin sah sie das Funkeln!
Nicht hell, sondern rot!
Sie zwinkerte, weil sie unsicher geworden war. Auch Delphi hatte das Zwinkern bemerkt. Sie wollte eine Frage stellen, aber die Ereignisse überrollten beide Frauen.
Das Licht bewegte sich blitzartig. Es gab kein Hindernis, keine Hüttenwand, kein Fenster, denn urplötzlich hatte es sein Ziel erreicht und funkelte in der Hütte.
Es stand genau zwischen den beiden Frauen!
***
Ihnen stockte der Atem!
Keine war in der Lage, auch nur ein Wort zu sagen. Das plötzliche Erscheinen des roten, funkelnden Sterns hatte sie aus der Fassung gebracht. Während Delphi ihre Hände auf die Tischplatte gelegt hatte, hielt ihre Besucherin noch immer die Tasse umklammert, als könnte sie ihr den letzten Halt geben.
»Jetzt ist es hier«, gab Delphi einen überflüssigen Kommentar ab. Aber sie hatte einfach etwas sagen müssen, es drängte in ihr. Das
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