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0879 - Henker-Dämmerung

0879 - Henker-Dämmerung

Titel: 0879 - Henker-Dämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Clement
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schlanke, gut proportionierte Figur. Um den Hals trug sie einen Anhänger, der ein Rad aus Metall darstellte.
    Beda musterte nun ihrerseits auch Nicole eingehend.
    »Bist du eine Dienerin der Naturgeister, Nicole?«
    »Wie kommst du darauf?«
    »Du trägst einen Mondtalisman, der nur im Besitz von wenigen Schwert-Mönchen ist, so viel ich weiß. Du kannst dich unsichtbar machen, nicht wahr? Nur die Geister der Natur können solche Fähigkeiten schenken, wenn man sich vertrauensvoll in ihre Nähe begibt.«
    »Wie ich zu diesem Talisman gekommen bin, ist eine lange Geschichte.«
    Beda lachte.
    »Ich liebe Geschichten! Deshalb bin ich ja Gauklerin geworden!«
    Mit diesen Worten versuchte sie, ihren umgekippten Handkarren wieder aufzurichten. Nicole packte mit zu. Gleich darauf hatten die beiden Frauen das Fahrzeug wieder auf seine zwei hohen Räder gestellt.
    Beda zog eine Truhe aus dem Inneren hervor. Als sie den Deckel öffnete, erblickte Nicole bunte Kostüme, Masken und Flitter.
    »Ich schenke den Menschen Freude und Abwechslung in ihrem langweiligen Leben, Nicole. Seit Jahren ziehe ich von Dorf zu Dorf und von Gehöft zu Gehöft. Die Leute geben mir für meine Darbietungen so viel, wie sie mögen. Ein paar Kupfermünzen und eine warme Mahlzeit sind das Mindeste, was ich mir erhoffen kann. Aber damit ist es ja nun wohl vorbei!«
    Bedas Miene verdüsterte sich.
    »Wieso?«
    »Du hast doch miterlebt, wie sich diese drei Soldaten an mir vergehen wollten, Nicole! Dazu ist es ja nun dank deiner Hilfe nicht gekommen. Aber sie wollten mir ans Leder, um mich zu bestrafen. Weil ich mich auf der Straße gezeigt habe.«
    »Wie bitte?!«
    »Weißt du nichts von den neuen Gesetzen, die der Künder des Dunklen Propheten bestimmt hat? Frauen müssen in den Häusern und auf den Gehöften bleiben. Es ist ihnen verboten, auf der Straße zu sein. Und falls es sich nicht vermeiden lässt, müssen sie von ihrem Mann, Bruder oder Vater begleitet werden.«
    Nicole war angewidert und empört zugleich. Es wurde wirklich dringend Zeit, dass dieser Dunkle Herrscher in der Hölle verschwand, wo er hingehörte!
    »Dann kannst du ja deinen Beruf nicht mehr ausüben, Beda!«
    »Nur, wenn ich vorsichtig bin.«
    Mit diesen Worten wandte sich die rothaarige Frau der Truhe zu. Als sie sich wieder umdrehte, hatte sie sich in einen runzligen Greis mit langem weißen Bart verwandelt. Sie schob ihr störrisches rotes Haar unter einen Hut mit breiter Krempe. Dann griff sie zu einer Holzdose, aus der sie einige Kräuter nahm und in den Mund steckte. Beda kaute darauf herum. Als sie kurze Zeit später zu Nicole sprach, hatte sich ihre helle Stimme in die dunkle, leicht brüchige Redeweise eines sehr alten Mannes verwandelt.
    »Ich war leichtsinnig, Nicole. Ich glaubte, die Soldaten des Henkers übertölpeln zu können. Wenn ich gleich in dieser Verkleidung herumgezogen wäre, hätten sie mir wahrscheinlich nichts getan. Obwohl - ich glaube nicht, dass Gaukler noch eine große Zukunft in unserer Welt haben. Schließlich hat der Dunkle Herrscher ja auch das Lachen verboten. Deshalb möchte ich dir helfen, deine Freunde zu befreien.«
    »Das kann gefährlich werden, Beda.«
    Die junge Gauklerin lachte.
    »Ich vertraue auf den Schutz der Naturgeister! Haben sie mir nicht dich geschickt, bevor diese Kerle mir ernsthaft etwas antun konnten?« Beda drehte sich mit ausgebreiteten Armen um die eigene Achse. »Sieh dich doch nur um! Die Geister der Natur wohnen in jedem Stein und in jedem Grasbüschel! Sie sprechen durch das Murmeln des Baches und durch das Rauschen des Windes zu uns! Ich weiß nicht, woher du kommst, Nicole. Aber ich spüre, dass du es gut mit uns meinst. Denn du trägst den Mondtalisman, der die Güte der Natur verkörpert.«
    Nicole war gerührt von der Freude und dem unbegrenzten Vertrauen, das die Gauklerin ihr entgegenbrachte.
    Aber der Gedanke an Zamorra und Simoor ließ sie nicht los. Was die Soldaten wohl mit ihnen gemacht hatten?
    »Lass uns nach Taqua aufbrechen, Beda.«
    »Natürlich, Nicole. Die Geister der Natur werden uns den richtigen Weg weisen, um deine Freunde zu befreien!«
    Die beiden Frauen griffen sich den Handkarren und bewegten sich auf die Stadt zu, deren hohe Mauern sich am Horizont abzeichneten.
    ***
    Das eiserne Rad war eine feinstoffliche Erscheinung.
    Zamorra konnte die Wände der Folterkammer hinter dem sich drehenden Rad deutlich erkennen. Das geistige Bild des Rades erinnerte an eine holografische Darstellung. Oder

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