0879 - Henker-Dämmerung
in seinem Inneren, wie er ihn selten erlebt hatte. Es war pure Lebenskraft, die aus unbekannten Quellen gespeist wurde und sich in ihm ausbreitete. Ein warmes, prickelndes und unbeschreibliches starkes Gefühl.
Nun zerriss der Dämonenjäger ebenfalls seine Fesseln, als wären sie aus Seidenpapier. Zamorra und Simoor lächelten sich an.
Da materialisierte sich plötzlich ein feinstoffliches Gebilde in der Luft des hohen Raumes. Zamorra blinzelte. Das Licht der beiden Fackeln war nicht gerade das hellste. Aber dann erkannte er, was für ein halb durchsichtiger Gegenstand vor ihnen erschienen war.
Ein riesiges, sich drehendes Rad!
***
Der zweite Hilfeschrei klang noch kläglicher als der erste. Nicole spannte ihre Muskeln an und rannte noch schneller, als sie es ohnehin schon tat. Im Laufen zog sie ihr Schwert blank.
Schon hatte sie die Hügelkuppe erreicht.
Der Anblick, der sich ihr bot, war eindeutig genug. Ein Handkarren mit Verdeck lag umgekippt auf dem Boden. Direkt daneben hatten drei Soldaten in der Uniform von Ankora eine junge Frau gepackt. Ihr langes buntes Kleid war zerrissen. Sie wehrte sich verzweifelt. Doch zwei der Kerle hielten sie im eisernen Griff.
Und der dritte Krieger drängte sich zwischen ihre Schenkel. Er wollte seine Hose herunterlassen. Doch dazu kam er nicht mehr.
Nicole hatte ihn mit einem riesigen Sprung erreicht. Ihr Schwertknauf knallte gegen seine Kinnspitze! Der Kerl prallte zurück, als ob ihn ein Pferd getreten hätte. Überrascht riss er die Augen auf. Nicole war ja noch immer unsichtbar.
Doch dann begann er, mit seiner Streitaxt wild um sich zu schlagen. Nicole musste handeln, wenn sie das Leben der jungen Frau und ihr eigenes schützen wollte.
Sie stach ihm in die Kehle. Der Vergewaltiger ging zu Boden und stand nicht mehr auf.
»Zauberei!«, blökte einer der anderen Kerle. »Die Geister der Natur!«
Er zog seinen Dolch, um die Frau als Geisel zu nehmen. Doch die trat ihm, durch die unerwartete Hilfe mutig geworden, gegen das Knie. Er strauchelte, wollte sie erstechen. Aber vorher wurde er selbst von der Dämonenjägerin erledigt.
Nicole zog ihr Schwert wieder zurück. Sie war keine eiskalte Mörderin. Aber wenn sie die Frau beschützen wollte, durfte sie nicht viel Federlesens machen. Schließlich kämpfte sie allein gegen drei bewaffnete Männer, die offenbar keine Hemmungen hatten, sich an einer wehrlosen Frau zu vergehen.
Der dritte Soldat rannte davon.
Da riss die Frau mit verzerrtem Gesicht einen Gegenstand aus ihrer Rocktasche. Es war eine Lederschleuder. Sie packte einen faustgroßen Stein, legte ihn in die Schlaufe, ließ die Schleuder kreisen - und schon knallte der Stein gegen den Kopf des Flüchtenden.
Mit zerschmettertem Schädel ging er zu Boden.
Nicole hastete noch kurz hinter ihm her. Aber auch von diesem Soldaten ging keine Gefahr mehr aus.
Als die Dämonenjägerin sich wieder der Frau zuwandte, hatte diese ihre Lederschleuder beiseite gelegt. Sie kniete sich auf die Erde, beugte sich inbrünstig vor und berührte mit ihrer Stirn den Boden.
»Liebe Geister der Natur, ich danke euch aus ganzem Herzen! Ihr habt mein Flehen erhört und euer Kind in der Stunde der Not beschützt!«
Nicole beschloss, ihre Tarnung aufzugeben. Sie hoffte, von der Frau mehr Informationen zu bekommen, um Zamorra und Simoor befreien zu können. Die Dämonenjägerin drehte an ihrem Mondtalisman. Sie war ja immer noch unsichtbar.
Die Kniende erschrak, als plötzlich die Französin in der Uniform von Ankora aus dem Nichts auftauchte. Mit einem Schwert in der Hand, auf dem noch das Blut der Soldaten glitzerte!
»Wer… wer bist du?«
»Ich heiße Nicole.« Sie nahm den Helm ab. »Und ich gehöre nicht zu denen, auch wenn ich ihre Uniform trage. Ich bin auf dem Weg nach-Taqua, um meine Freunde zu befreien. Sie wurden von den Truppen des Henkers gefangen genommen.«
»Mein Name ist Beda. Ich glaubte, dass die Geister der Natur mich gerettet hätten. Aber wahrscheinlich haben sie dafür gesorgt, dass du mir geholfen hast.«
Nicole lächelte. Die Geister der Natur schienen für die Menschen dieses Landes eine wichtige Rolle zu spielen. Die Dämonenjägerin nahm nun die andere Frau näher in Augenschein.
Beda war schätzungsweise Mitte zwanzig. Ihr hübsches Gesicht mit den grünen Augen wurde von roten Haaren umspielt, die sie als wilde Mähne mehr als schulterlang trug. Das lange bunte Kleid war an mehreren Stellen von den Soldaten zerrissen worden. Beda hatte eine
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