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0879 - Henker-Dämmerung

0879 - Henker-Dämmerung

Titel: 0879 - Henker-Dämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Clement
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Watte zu laufen. Die Häuser, Läden, Passanten, Ochsengespanne und spielenden Kinder um sie herum wurden zu einer illusionären Theaterkulisse. Wie durch eine Milchglasscheibe nahm sie ihre Umgebung wahr. Oder wie einen Film mit Weichzeichner.
    Eine wohltönende Stimme erklang.
    »Willkommen in der Geisterwelt!«
    »Was ist die Geisterwelt?«
    »Eine parallele Ebene, in die du jederzeit überwechseln kannst, Nicole Duval. Du hast es soeben getan, indem du den Mondtalisman in die entsprechende Stellung brachtest.«
    »Du kennst meinen Namen?«
    »Ja, Nicole. Als ich noch einen menschlichen Körper hatte, war ich der Meister der Harmonie. Aber dann hat mich der Henker getötet. Nun bin ich als Geistwesen ein Wanderer zwischen allen Welten und Dimensionen geworden. Ich war es, der den armen Bruder Simoor in deine Welt begleitet hat. Denn eine alte Prophezeiung besagt, dass nur dein Gefährte Zamorra den Dunklen Herrscher bezwingen kann.«
    »Ich bin jetzt also in der Geisterwelt?«, hakte Nicole nach. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sich einiges im Straßenbild geändert hatte. Plötzlich waren viel mehr Menschen auf den Gassen und Plätzen. Und doch waren es keine richtigen Menschen aus Fleisch und Blut. Sie waren feinstofflich. Die Geistwesen mischten sich zwischen die »normalen« Passanten, gingen durch sie hindurch oder schwebten über der Erde. Nun erblickte Nicole auch die Entität, zu der die Stimme gehörte.
    Es war ein alter, kahlköpfiger Mann in einem langen Gewand, das dem von Simoor glich. Auch der Meister der Harmonie trug ein Kettenhemd und ein Schwert. Doch seine ganze Erscheinung war eben feinstofflich, durchscheinend.
    Genau wie ich selbst, dachte Nicole, als sie an sich heruntersah. Auch sie war durch den Wechsel in die Geisterwelt zu einem Geistwesen geworden.
    »Wenn du den Mondtalisman klug einsetzt, wirst du im Kampf unbesiegbar sein, Nicole«, sagte der Meister der Harmonie. »Weder Schwert noch Axt, weder Speer noch Keule können dich verletzen oder töten, wenn du rechtzeitig deinen Talisman in die richtige Stellung drehst. Allerdings kannst du selbst keine Waffe führen, wenn du in dem jetzigen Zustand bist.«
    Nicole schwieg. Der Meister der Harmonie spürte, dass sie eine Frage auf dem Herzen hatte.
    »Du möchtest wissen, warum ich selbst nicht diese Möglichkeit genutzt habe, anstatt mich im Kampf töten zu lassen.«
    Nicole nickte.
    »Weil ich in der Meditation meinen eigenen Tod vorhergesehen habe, Nicole. Es wäre ein Verstoß gegen die kosmische Harmonie gewesen, am Leben bleiben zu wollen. Mein Tod hatte einen Sinn. Wie könnte ich als armseliger Mensch mich gegen die Einheit von allem auflehnen wollen?«
    Die Dämonenjägerin schwieg. Offenbar erwartete der Meister der Harmonie auch keine Antwort.
    »Die anderen Menschen bemerken übrigens nicht, dass du gerade in der Geisterwelt bist und mit mir redest«, sagte er stattdessen. »Erst, wenn dich jetzt jemand berührt, wird er feststellen, dass dein Körper zur Zeit keine Substanz hat.«
    Als hätte er auf sein Stichwort gewartet, trottete in diesem Moment ein kleiner Hund vor Nicoles Füße. Die Französin konnte nicht so schnell ausweichen. Doch statt das Tier mit ihren schweren Militärstiefeln versehentlich zu treten, gingen ihre Beine durch den Hund hindurch!
    Nicole riss erstaunt die Augen auf. Doch der Hund setzte unbeeindruckt seinen Weg fort. Er hatte offenbar den Zusammenstoß überhaupt nicht bemerkt.
    Auch sonst hatte niemand Notiz von Nicoles Feinstofflichkeit genommen.
    »Kennst du nun die Möglichkeiten, dich mit Hilfe des Mondtalismans unsichtbar zu machen oder feinstofflich zu werden?«
    »Ja.«
    »Dann wünsche ich dir viel Glück, Nicole. Die Geister der Natur werden dich im Kampf gegen den Dunklen Herrscher beschützen!«
    Die schemenhafte Gestalt verschwand. Und Nicole drehte ihren Mondtalisman in die ursprüngliche Stellung zurück.
    Jedenfalls einstweilen…
    ***
    Mit gezogenen Schwertern stürmten Zamorra und Simoor einen dunklen Gang entlang. Gegner tauchten einstweilen nicht auf. Stattdessen stoppte der junge Mönch vor einer massiven Tür.
    Mit ihrer frisch erworbenen gestärkten Kraft mussten die Kampfgefährten nur wenige Tritte gegen das Holz krachen lassen. Die Tür splitterte.
    Zamorra und Simoor betraten einen lang gestreckten Raum mit vergitterten Fenstern. In hölzernen Aufhängungen an den Wänden ruhten Hunderte und Aberhunderte von Schwertern.
    Für einen Moment hielt der junge Mönch ehrfürchtig

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