0879 - Henker-Dämmerung
Lanzenhieb ein.
Er setzte ein Pokergesicht auf und dachte über Nicole nach. Sie hatte sich nicht überrumpeln lassen wie Simoor und er selbst. Seine Gefährtin war bei der Verhaftung spurlos verschwunden. Aber wie hatte sie das gemacht? War sie ein Stück weit hinter den beiden Männern geblieben und in Deckung gegangen, als der Reitertrupp sie erwischt hatte?
Zamorra wusste es nicht. Er war allerdings sicher, Nicole noch kurz vor der Gefangennahme gesehen zu haben.
Jedenfalls machte er sich keine Sorgen um seine Gefährtin. Sie war nicht nur einer der tapfersten, sondern auch einer der intelligentesten Menschen, die er kannte. Er rechnete damit, dass Nicole es schaffen würde, sie aus der Gefangenschaft zu befreien. Falls Zamorra und Simoor das nicht in Kürze selbst schafften…
Der Dämonenjäger beobachtete seine Umgebung genau, während sie quer durch Taqua auf einen großen Palast zuritten. Die Bewohner der Stadt senkten ihre Blicke, wenn sie die Militärpatrouille passierten. Die Menschen machten einen unglücklichen und eingeschüchterten Eindruck. Manche von ihnen standen allerdings bereits auf der Seite der neuen Machthaber.
Vor allem eine Gruppe Halbwüchsiger war es, die sich unweit des Palastes auf einem Platz versammelt hatte. Sie waren in dunkle Gewänder gehüllt und küssten den Boden vor einer Statue, die einen abstoßend hässlichen Dämon darstellte.
»Tod den Geistern der Natur!«, skandierten sie. »Tod ihren Anhängern! Tod dem Unglauben! Der Dunkle Herrscher regiert für alle Zeiten!«
Zamorra lief ein kalter Schauer über den Rücken. Der Dämonenjäger hatte Kämpfe gegen die grausamsten Kreaturen des Universums mutig durchgestanden und gewonnen. Aber die leichte Beeinflussbarkeit des menschlichen Geistes schockierte ihn immer wieder aufs Neue. Manchmal glaubte er, dass fehlgeleitete Menschen so grausam werden konnten wie Dämonen…
Zamorra und Simoor wurden aus den Sätteln gezerrt. Ihre Beine waren so taub, dass sie nicht laufen konnten. Die Reitersoldaten hoben sie hoch und schleiften sie über eine breite Treppe ins Innere des Palastes.
Dort waren überall Handwerker beschäftigt, die Spuren früherer Herrschaft zu beseitigen. Kahle Flächen an den Wänden zeugten von Bildern oder Wandteppichen, die dort gehangen hatten. Auf den Überresten zermalmter Denkmalssockel hatten vermutlich Statuen gestanden. Wahrscheinlich Bildnisse der Geister der Natur.
Nun wurde der Palast zu einem Dämonentempel umgebaut!
Der Reiteroffizier, der Zamorra und Simoor gefangen genommen hatte, erstattete kurz Meldung bei einem Gardisten. Dieser salutierte und übernahm die Führung. Er brachte die Gefesselten und ihre Bewacher in einen Saal.
Auf einem Thron, der sich leicht erhöht auf einem schnell zusammengezimmerten Podest befand, hockte ein dunkel gekleideter Mann. Er hatte ebenmäßige Gesichtszüge, wirkte intelligent und entspannt.
Zamorra ertappte sich dabei, dass er den Thronenden auf den ersten Blick sympathisch fand. Doch dann bemerkte er die unmenschliche Kälte in den Augen des anderen. Die zynische Menschenverachtung.
Zamorra hatte in seinem Leben schon genügend Dämonenknechten gegenübergestanden. Und das hier war einer der übelsten Sorte!
»Meine Kundschafter haben nicht gelogen.« Die Stimme des Mannes klang tief und wohltönend. Aber Zamorra ließ sich nicht mehr blenden. »Aber wer hätte jemals von einem Vogel gehört, der die Unwahrheit spricht? Tiere lügen nicht - nur Ungläubige!«
In diesem Moment erinnerte sich Zamorra an die Vögel, die er nach dem Nachtmarsch verscheucht hatte. Der Henker - um keinen anderen konnte es sich bei dem Thronenden handeln - verstand sich offenbar darauf, auf magischem Weg mit Tieren zu reden und sie für sich einzuspannen. Er war ein Gegner, den man nicht unterschätzen durfte…
»Die Menschen dieses Landes waren sehr gläubig, bevor du mit deiner Armee gekommen bist und den Tod gebracht hast, Henker! Also spare dir deine scheinheiligen Reden über Ungläubige und so weiter. Gib doch zu, dass es dir um die Macht geht und um nichts anderes!«
Die Reitersoldaten und Gardisten zuckten bei diesen respektlosen Worten Simoors zusammen. Sie hoben ihre Lanzenschäfte, um ihm eine fürchterliche Tracht Prügel zu verpassen. Doch der Henker hielt sie mit einer Handbewegung zurück.
»Wartet, meine Treuen! - Wer bist du überhaupt, dass du solche Reden zu führen wagst?«
»Ich bin Simoor, ein Schwert-Mönch auf dem Weg zu absoluter
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