0881 - Das Kind der Mumie
von ihnen zurückgelassen worden sein. Alles ist möglich, Francis, und wir sollten wirklich über den eigenen Schatten springen.«
Clayton war anderer Meinung. »Und du hast nicht den Eindruck oder das Gefühl, etwas Falsches zu tun?«
»Nein!«
Francis schaute Laroche direkt ins Gesicht. »Dann… dann… bist du besessen.«
Laroche mußte lachen. Es klang kratzig. »Besessen?« Er überlegte einen Moment. »Irgendwo bin ich das schon. Das ist jeder Forscher, das weißt du. Ob Physiker, Archäologe oder Historiker, und wir machen da keine Ausnahme.«
»Ja, da stimme ich dir zu. Aber auch für die Forscher gibt es eine Grenze.«
»Nein, Francis!«
»Wir haben sie bereits überschritten.« Clayton ließ sich nicht von seiner Meinung abbringen.
Doch Laroche schüttelte den Kopf. »Wir werden das Kind mitnehmen. Oder ich werde es nehmen. Ich bin davon überzeugt, daß wir ihm etwas Gutes tun. Oder glaubst du daran, daß er hier in diesem Sarkophag oder in der Grabstätte überleben kann?«
»Es hat überlebt, vergiß das nicht!«
»Das habe ich auch nicht.« Die Stimme des Franzosen klang hektisch. »Aber ich bin tief in meinem Innern davon überzeugt, daß ich etwas Gutes tue, wenn ich es an mich nehmen. Wir werden es nur unseren Freunden zeigen, die sich dann mit diesem menschlichen Fund beschäftigen können. Auf keinen Fall werden wir es der Öffentlichkeit preisgeben. Ist das ein Kompromiß, mit dem du leben kannst, Francis?«
Clayton sah den fordernden Blick des Kollegen auf sich gerichtet. Er wußte, daß ihm keine andere Wahl blieb, als zuzustimmen. »Zur Not kann ich damit leben.«
»Danke.« Laroche nickte. »Du bist ein Freund. Du bist wirklich ein wahrer Freund und Kollege.«
Clayton schwieg. Nichts, aber auch gar nichts hatte ihn beruhigen können. Nach wie vor war er fest davon überzeugt, das Falsche zu tun, auf der anderen Seite konnte er seinen Freund nicht im Stich lassen. Es wäre ungerecht gewesen.
Wieder dachte er an den Verfolger, den er bisher nicht mal gesehen hatte. Doch das Wissen um seine unmittelbare Nähe breitete sich immer stärker in ihm aus und sorgte auch für eine entsprechende Unruhe. Er spürte ihn schon jetzt wie eine unsichtbare Faust im Nacken, die seinen Körper nach unten drücken wollte.
Laroche bückte sich dem offenen Sarkophag entgegen. Er hatte die Arme ausgestreckt und die Hände gespreizt, um das kleine Bündel sicher aufheben zu können.
Es kam nicht mal zur Berührung.
Urplötzlich hörten beide ein Geräusch.
Tritte…
Hinter ihnen, jenseits der unheimlichen Grabkammer. Laroche war erstarrt. Plötzlich traute er sich nicht mehr, nach dem Kind zu fassen. Er bewegte sich und richtete seinen Oberkörper auf, denn er stand so, daß er gegen den Eingang schauen konnte.
Noch war nichts zu sehen, denn die Finsternis darin floß immer wieder zusammen.
Aber die Tritte verstummten nicht. Sie kamen sogar näher.
»Da ist jemand«, flüsterte er.
»Ich weiß«, gab Clayton ebenso leise zurück. »Ich weiß es schon lange. Es ist der, den ich immer gespürt habe. Er hat sich jetzt aus seiner Deckung hervorgetraut.« Es war Clayton in den letzten Sekunden wie Schuppen von den Augen gefallen. »Der leere Sarkophag, Guy, er hat etwas zu bedeuten. Er war die Grabstätte des anderen.«
»Das glaube ich inzwischen auch.« Die Stimme des Franzosen zitterte ebenso wie der helle Lichtarm, der an Clayton vorbei in Richtung Tür strahlte.
Genau dort malte sich eine schattenhafte Gestalt ab. Ob Mensch oder mystische Erscheinung, das war nicht genau festzustellen, weil die Dunkelheit zu dicht lag.
»Mein Gott«, flüsterte Laroche nur.
Diesmal drehte sich auch Francis Clayton um…
***
Es war unheimlich, und der Engländer spürte, wie die Furcht in seinen Körper hineinkroch, als bestünde sie aus feuchten Fingern. Sie war einfach überall und ließ sich nicht stoppen. Er konnte sich nicht daran erinnern, in letzter Zeit eine derartige Angst erlebt zu haben, obwohl ihm die Gestalt nichts tat.
Sie stand einfach nur da, und sie hatte mittlerweile die Schwelle zur Grabkammer überschritten. Das Licht strahlte gegen sie, aber es ließ den Oberkörper außer acht und erwischte eigentlich nur das Gesicht der Gestalt, und davon war auch nicht viel zu sehen, denn zwei Tücher bedeckten es. Das eine war um den Kopf der Gestalt geschlungen, das andere Tuch bedeckte den Mund, das Kinn und einen Teil der Nase, so daß nur deren Ende zu sehen war und die beiden übergroßen
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