0885 - Die Kralle des Jaguars
versuchte zum wiederholten Mal, den Gestank zu ignorieren, der trotz der geschlossenen Tür noch in den Raum drang. Kein Wunder, dass er heute Mittag der einzige Kunde war - ranziges Fett, Bratenduft und Schweiß vermischten sich hier zu einem Duft, der den Aufenthalt in Guillermos Hinterzimmer nahezu unerträglich machte.
Hatte er alles, was er brauchte? Im Geiste ging Elian abermals seine Einkaufsliste durch und hakte Posten um Posten ab. Noch bekam er alles im mitgebrachten Rucksack unter, aber für die Trommel, die ihm Guillermo gerade aus dem Lager holte, würde er eine größere Tasche brauchen, wenn er sich auf der Straße die fragenden Blicke der Passanten ersparen wollte.
»Cuánto cuesta esto ?«. fragte der drahtige Mexikaner sofort, als er sah, mit welchem Koloss von Trommel der Hausherr ins Zimmer zurückkam. Wollte ihn Guillermo über den Tisch ziehen und ihm einen Ladenhüter andrehen?
Doch der alte Verkäufer nannte einen Preis, der recht vernünftig klang. »Es su mejor precio! «. fragte Elian und versuchte, Guillermo noch um ein paar Pesos herunterzuhandeln. Erfolgreich. Wenige Minuten später trug er seine Neuerwerbungen durch den Schankraum nach draußen, wo er sein Auto geparkt hatte. An den wenigen, speckigen Tischen des Imbisses saßen einige Touristenfamilien und vergruben ihre Gesichter in Hamburgern und Bergen von Pommes frites. Allein beim Anblick wurde Elian ganz anders. Wenrís vorne so schmeckt, wie es hinten riecht, dann dürfte Guillermos Kundschaft bald aussterben, dachte er ironisch.
Und richtig: Er hatte die Tür kaum erreicht, da bemerkte er, wie sich ein etwa sechsjähriger Junge zu seiner Mutter umdrehte, sich den Bauch rieb und flüsterte: »Mama, me duele el estómago.« Magenschmerzen, soso. Kein Wunder bei dem Fraß.
***
Die Kaffeetassen dampften, die schlichten Holzstühle waren überraschend bequem und die kleine Wohnung angenehm kühl und eine willkommene Abwechslung zur Mittagshitze, die vor der Tür geherrscht hatte. Und dennoch konnte sich Nicole eines schlechten Gefühls nicht erwehren, und seine Ursache hieß Morgana Fatima. War es ihre altmodisch-bunte Kleidung, die aus einem anderen Jahrhundert zu kommen schien, die betont offene und freundliche Art, mit der sie auf zwei stupide Touristen zuging, oder der nur schwer zu verstehende Akzent? Nicole zermarterte sich das Hirn darüber, was genau an »Mama Morgana«, wie sich ihre Gastgeberin selbst bezeichnet hatte, denn nun so seltsam fand. Irgendetwas störte sie massiv, doch konnte sie es nicht benennen.
Sie saßen zu dritt am runden Tisch in »Mamas« Wohnzimmer, einem Raum von überschaubaren Ausmaßen, dessen Möblierung nicht der Rede wert war und dessen Wände von Heiligenbildern, Kerzen und kleinen Statuen geprägt wurden, die wie Fetische aussahen. Nicoles Kenntnis der katholischen Kirchengeschichte hielt sich zwar in Grenzen, doch glaubte sie, auf vielen Darstellungen den heiligen Lazarus von Bethanien zu erkennen.
Señora Fatimas dunkle, schwere Stimme riss Nicole aus ihren Gedanken. »Das ist Babalú Ayé«, sagte sie und nickte in Richtung der Lazarus-Devotionalien, »ein Oricha. Er gehört zu den Krankheiten, dem Leid.« Sie fasste Nicole scharf ins Auge.
Oricha , aha. Soweit Nicole wusste, nannten einige südamerikanische Religionen ihre Geisterwesen so: überdimensionale Existenzen, die für bestimmte Naturgewalten und Eigenschaften standen. »Verzeihen Sie, ich wollte nicht unhöflich sein«, murmelte sie und fühlte sich seltsam ertappt, so als habe die Alte sie beim Spionieren erwischt. Obwohl: So richtig alt ist sie nicht, oder?, dachte sie und wusste mit einem Mal, was sie an der Honduranerin so irritierte. Ich könnte echt nicht sagen, wie viele Lenze die gute Morgana schon auf dem Buckel hat. Vierzig? Sechzig? Oder etwa noch mehr? Ihrem Gesicht sieht man jedenfalls nicht an, wie alt sie wohl sein mag.
»Aber nicht doch?«, erwiderte Morgana jetzt freundlich. »Sie sind gekommen, um etwas über unsere Religion und Kultur zu erfahren. Da gehört Neugierde doch zum Handwerk, finden Sie nicht? Wie kann ich Ihnen behilflich sein?«
»Nun«, ergriff Zamorra sofort das Wort, »wie ich schon sagte, beschäftigen wir uns mit der südamerikanischen Kultur. Sozusagen mit der Frage, wie aus einer Geschichte, die mit den Maya-Kulturen begann und in ihnen eine beeindruckend facettenreiche Blüte erlebte, eine so zweigeteilte Welt werden konnte.«
Die Señora Fatima war so erstaunt, dass sie sich
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