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0885 - Die Kralle des Jaguars

0885 - Die Kralle des Jaguars

Titel: 0885 - Die Kralle des Jaguars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Borner
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Zamorra lächelte und fuhr sich mit der Hand durch das dunkle Haar. Jetzt musste er abwarten. Mit wenigen Schritten kehrte er zur Straße zurück. War da nicht ein Café gewesen? Richtig, gleich gegenüber der Toreinfahrt befand sich das ein wenig seltsam betitelte »Comedor Bungert«, ein winziges Lokal aus dunklem Holz, abgewetzten Möbeln und dem Duft von ranzigem Fett und Bohnenkaffee. Die Front des Restaurants war geöffnet, und einige Tische ragten auf den Bürgersteig hinaus. Zamorra nahm an einem von ihnen Platz, lehnte sich im Stuhl zurück und blickte zur gegenüberliegenden Einfahrt. In seiner Hosentasche fischte er nach seinem Handy.
    Es war an der Zeit, Nicole zu rufen.
    ***
    Sie waren beim zweiten Kaffee angekommen, als sich auf der anderen Straßenseite Bewegung zeigte. Nach und nach verließen mehrere Menschen das Gebäude, dem Aussehen nach alles Einheimische. Nicole sah Leute verschiedensten Alters und - wenn man der optischen Erscheinung Glauben schenken mochte - sozialer Position, die teils alleine, teils in kleineren Gruppen auf die Straße traten und sich dann in alle Richtungen verstreuten. Vom zahnlosen Rentner bis zum gut frisierten Schlipsträger war alles vertreten. Wer auch immer dort Voodoo praktizierte, durfte sich offenbar über eine extrem gemischte Gemeinde freuen.
    »Und jetzt gehen wir einfach da rüber und sagen Hallo?«, fragte sie skeptisch, als der Menschenstrom verebbt war und sie ihre Getränke bezahlt hatten.
    »Ganz genau«, erwiderte Zamorra. »Mal sehen, ob der Priester ein Freund der Wissenschaften ist.« Sie überquerten die Straße und näherten sich dem Haus. Schon von weitem erkannte Zamorra, dass die brennende Kerze gelöscht worden war: die Show war zu Ende. Unter Nicoles kritischen Blicken klopfte er kurzerhand an die schlichte, hellblau angestrichene Holztür. Von seiner Berührung angestoßen, öffnete sie sich einen Spalt.
    »Hola!«, rief der Franzose in den leeren Raum. »Cualquier en casa?« Jemand zu Hause?
    Statt einer Antwort hörten sie ein Rascheln. Wenige Sekunden später öffnete sich die Tür noch ein Stück - doch nicht von Menschenhand. Ein ausgewachsener, schwarzer Jaguar stand plötzlich vor ihnen und fauchte sie böse an!
    ***
    Für einen Moment vergaß Nicole das Atmen. Sie spürte, wie sich ihr Körper versteifte, wusste, dass jede Bewegung die falsche sein konnte. Regungslos stand sie vor der jetzt weit geöffneten Tür und blickte das Raubtier an, das den Blick mit vor Zorn gebleckten Zähnen erwiderte. Es grenzte an Wahnsinn, doch Nicole kam nicht umhin, das samtig schimmernde rabenschwarze Fell des Jaguars zu bewundern, in dem sich trotz der dunklen Farbe noch deutlich das typische Fleckenmuster dieser Spezies abzeichnete.
    Er schien zu zögern, sich seiner Sache nicht sicher zu sein. Wie ein Wachhund, der zum Schutz des Hauses bestellt worden war, nun aber zweifelte, ob er es mit Einbrechern oder nicht doch Freunden der Familie zu tun hatte. Abermals erklang sein Fauchen, und wie um seine Aussage zu unterstreichen, hob das Tier nun auch die rechte Vorderpfote. Allem Anschein nach wollte es den beiden Franzosen nach seinen Zähnen auch seine Krallen präsentieren. Schaut her, sagte diese Geste deutlich, und überlegt euch gut, was ihr tut.
    Nicole verstand, schluckte trocken und tat gar nichts.
    »Raoul!«, klang es plötzlich aus dem Hausinneren. »Verschwinde, sofort. Lass das.« Es war eine Frauenstimme, tief und rauchig, und das stolze wilde Tier gehorchte ihr. Ohne Nicole und Zamorra noch eines Blickes zu würdigen, machte der Jaguar kehrt und verschwand aus ihrer beider Sichtfeld. Nicole konnte förmlich spüren, wie ihre Schultern sackten, als die Anspannung nachließ.
    Aus dem Dämmerlicht des Hausinneren trat eine Dame, die nun an der Tür erschien und die beiden Besucher in einem Spanisch ansprach, das von schwerem Dialekt geprägt war und für einen weniger kundigen Zuhörer nahezu unverständlich gewesen wäre.
    Aber ihr Gesicht war freundlich und ihr Tonfall eine einzige Entschuldigung. »Buenas tardes ! Bitte entschuldigen Sie Raouls Verhalten, manchmal übertreibt er seinen Status als Wachtier maßlos. Ich hoffe, er hat Sie nicht allzu sehr erschreckt?«
    »Nicht der Rede wert«, antwortete Zamorra lässig und winkte ab. Nicole konnte es kaum glauben, verkniff sich aber den bissigen Kommentar, der ihr auf der Zunge lag. Stattdessen besah sie sich ihr Gegenüber genauer. Die Frau war einen Kopf kleiner als sie selbst und von

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