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0885 - Die Kralle des Jaguars

0885 - Die Kralle des Jaguars

Titel: 0885 - Die Kralle des Jaguars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Borner
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die Priesterin und verließ den Raum in Richtung Küche.
    ***
    »Sie ist zufrieden mit dem, was sie gesehen hat, auch wenn es sie enorm überrascht hat.«
    Nicole sprach leise und schnell. Als wollte sie die wenige Zeit nutzen, die ihre Gastgeberin nicht im Raum war. »Ihre Gedanken habe ich nicht lesen können, wohl aber einige sehr deutliche Empfindungen gespürt. Zunächst war sie verwirrt, dann ehrlich erschüttert« - Zamorra grinste leicht - »und letzten Endes zufrieden. Die Karten zeigten ihr nicht, was sie erwartet hat. Aber sie kann mit dem Ergebnis sehr gut leben.«
    Der Professor nickte langsam. Das hatte er gehofft und das Verhalten der Señora auch interpretiert. Was seine begabte Partnerin ihm mitteilte, passte in das Bild, welches er sich von Morgana Fatima gemacht hatte. Er war wirklich froh, über ihren Tempel gestolpert zu sein und wartete gespannt, welche weiteren Überraschungen dieser Spontanbesuch noch für sie bereithielt. Die Nächste kam von Nicole: »Hältst du sie wirklich für eine Wiedergängerin?«
    »Was? Nein, ich spekulierte nur darauf, dass…«
    Es klapperte, und hinter einem mit Gebäck und einer weiteren dampfenden Kanne mit frischem Kaffee beladenen Tablett kam Morgana wieder ins Wohnzimmer. Mit einem schnellen Blick gab Zamorra seiner Gefährtin zu verstehen, dass sie ihre Unterhaltung später fortsetzen würden. Für den Moment gehörte die Bühne allein Morgana Fatima, und Zamorra war begierig darauf, zu erfahren, ob in deren Show noch ein weiterer Akt vorgesehen war. Er musste nicht lange auf die Zugabe warten.
    Sobald ihre Gastgeberin wieder saß und ihrer beider Tassen abermals gefüllt hatte, wandte sie sich Zamorra zu. »Ich würde sie gerne einladen«, sagte sie und lächelte freundlich. »Meine - wir nennen es ›Familie‹ - Sie würden wohl ›Gemeinde‹ sagen - und ich treffen uns morgen Abend außerhalb der Stadt zu einer Art Gottesdienst, und ich könnte mir vorstellen, dass er für Ihre Recherchen recht interessant sein dürfte. Normalerweise sind Zuschauer dabei nicht willkommen, aber in Ihrem Fall mache ich gerne eine Ausnahme - für die Wissenschaft.«
    Hoppla, gnädige Frau, dachte Zamorra bei sich. Sie gehen aber ran! »Mon Dieu Das ist ja absolut fantastisch«, sagte er begeistert und sah Nicole mit großen Augen an. »Genauso etwas würde unserer Arbeit doch eine persönliche, individuelle Note verleihen, finden Sie nicht, Mademoiselle Duval?«
    »Aber natürlich, Professor«, erwiderte Nicole strahlend. Dennoch konnte Zamorra ihre Skepsis geradezu spüren, auch wenn sie sich nichts anmerken ließ. »Das würde unsere Leser fraglos faszinieren: ein echter Erfahrungsbericht einer religiösen Voodoo-Zeremonie!«
    Nicole sträubte sich gegen die Entwicklung dieser Unterhaltung, das war ihm klar. Ihre Stimme war hoch, ihr Gesichtsausdruck betont einfältig - sie spielte das naive Blondchen, das leicht zu beeindrucken war. Fehlte nur noch, dass sie am Daumen lutschte oder irgendwelchen Präsidenten Geburtstagsständchen brachte. Bevor auch Fatima die übertriebene Darstellung als solche erkannte, wandte sich Zamorra wieder der Priesterin zu, nickte so fest, dass sein Scheitel verrutschte und schenkte ihr sein strahlendstes Lächeln. Seine Stimme triefte geradezu vor gespielter Dankbarkeit. »Also abgemacht. Wir sind dabei. Wo und wann treffen wir Sie?«
    Was für eine Show, dachte er und konnte die offenbare Zufriedenheit der Señora förmlich greifen. Was für eine Show.
    ***
    Als die beiden Fremden gegangen waren, saß sie noch lange da und dachte nach.
    Über den Mann, diesen Professor. Was für seltsame Fragen er doch gestellt, wie naiv er doch gewirkt hatte - obwohl sein Aussehen und Auftreten alles andere als Naivität suggerierten. Über Wiedergänger hatte er sprechen wollen, über Maya-Götter und Voodoo-Riten, als griffe das Eine ins Andere. Und erst das, was seine Karten über ihn sagten! Als Voodoo-Priesterin war ihr die Macht der spirituellen Welt nicht fremd, und doch hatten sie die Ergebnisse, welche das Tarotdeck für Zamorra bereithielten, zutiefst erschüttert. Und neugierig gemacht…
    Raoul, der sich die ganze Zeit von den Fremden ferngehalten hatte, stolzierte ins Zimmer, bleckte die Zähne in einer Geste, die halb Gähnen, halb Attitüde war, und näherte sich dem abgewetzten Ohrensessel, in dem sie saß. Mit einem geschmeidigen Satz sprang er auf ihren Schoß, wo er sich trotz seiner Größe wie eine Katze niederließ. Gedankenversunken

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