0887 - Blutiger Nebel
Asanbosam … war sie Freund oder Feind? Zamorra gehörte nicht zu den Schwarz-Weiß-Sehern, für die es nur Gut oder Böse gab. Gryf ap Llandrysgryf, die leider umgekommene Mir jad und manchmal auch Nicole Duval sahen dies oft anders. Ein Vampir war ein Feind, musste in Folge dessen vernichtet werden. Zamorra hingegen wog ab. Dalius Laertes war auch ein Blutsauger - und doch ein guter und überaus wichtiger Freund des Teams. Bei Sabeth war Zamorra sich nicht so sicher.
Sie war ein in sich gespaltener, zerrissener Charakter. Der Professor vermochte keine Vorhersage abzugeben, in welche Richtung sie sich letztlich entwickeln mochte. In ihrer Aufgabe als Wächterin ging sie auf, doch wenn man ihr diese Bestimmung nehmen würde - was dann? Vielleicht würde Zamorra es ja bald selbst erleben, wie sie sich dann entschied.
Dalius Laertes schien sich zu einem ähnlichen Problemfall zu entwickeln. Der Uskuge war in der letzten Zeit kaum noch präsent. Zamorra fragte sich, wo Dalius sich aufhielt. Direkte Frage - direkte Antwort, so hielt der Franzose es am liebsten, doch bei Laertes war das irgendwie anders. Zamorra hatte das Gefühl, Dalius würde es ihm sagen, wenn die Zeit reif war, aber keine einzige Sekunde früher. Irgendwie… ja, Zamorra glaubte, der Uskuge war auf der Suche. Doch wonach?
Und dann war da noch ein vages Gefühl, das Professor Zamorra beschlich, wenn er Laertes beobachtete. Irgendwie umwehte den hageren Mann eine Undefinierte Form der Todesahnung. Dalius und sein Sohn Sajol - dessen magische Potenz schier unerschöpflich und ebenso gefährlich schien - waren zu einer Person verschmolzen. Laertes hatte sein Bewusstsein schützend und abschirmend um das Sajols gelegt. Er kontrollierte seinen Sohn, doch würde das ewig so funktionieren? Erste Risse in diesem Schutzpanzer hatte es ja bereits gegeben.
Das alles mochte mit Laertes' häufiger Abwesenheit zusammenhängen.
Zamorra zwang seine Gedanken mit Macht zurück zum Hier und Jetzt. Es würde sich alles irgendwann von selbst erklären, doch Zamorra hatte die böse Vorahnung, dann Tatsachen gegenüberzustehen, die er in keiner Weise mehr beeinflussen konnte.
Sein Blick ging zur großen Uhr, die über der Tür hing.
23:44 Uhr… bald würde sich ja zeigen, ob er zumindest in Sachen Sabeth und Ductor richtig lag.
***
Sabeth blieb wie angewurzelt stehen.
Der Gang, der nach unten zur Wurzelhöhle führte, wurde von einer massigen Gestalt versperrt, einer Gestalt, die Sabeth hier nun wirklich nicht hatte treffen wollen. Der Ductor stand unbeweglich da, beinahe so, als wäre er ein Teil des Ganges - eine steinerne Gestalt, die ungebetene Eindringlinge abschrecken und zur Umkehr bewegen sollte.
»Mach den Weg frei.« Sabeth legte so viel Autorität wie nur möglich in ihre Stimme. Beeindrucken konnte sie den Ductor damit allerdings nicht.
»Was willst du bei der Wurzel?« Im Grunde war das keine Frage, sondern nur Ausdruck der Missbilligung - Sabeth war längst klar, dass der Ductor sie verachtete. »Du störst sie nur. Bereite dich lieber auf deine nächste Blutaufnahme vor.« Die letzten Worte klangen, als wolle man einem Kind befehlen, sich die Zähne zu putzen. Für den Ductor war Sabeth eine lächerliche Figur - mehr nicht. Aber eine, um deren Wohlergehen er sich nun einmal zu kümmern hatte, denn wenn der Plan endlich anlief, dann würde die Wächterin eine entscheidende Rolle zu spielen haben. Mehr wusste der Ductor jedoch auch nicht, denn auch er war auf das Halbwissen angewiesen, das die Herrscher ihm eingepflanzt hatten.
Sabeth sammelte Mut und Kraft und wollte sich an der Gestalt des Ductors vorbeidrängen. Er hielt sie auf, als wäre sie tatsächlich nur ein schwächliches Kind. Sabeth Stimme überschlug sich vor Wut.
»Wenn du mich nicht zur Wurzel lässt, dann kann das verheerende Folgen für den Plan haben. Auf einer der Knotenwelten bahnt sich eine Katastrophe an!«
Der Ductor schob die Wächterin zurück, immer dem Ausgang entgegen.
»Sicher! Und ausgerechnet du hast das entdeckt, was den Herrschern verborgen geblieben ist, ja? Der Durst vernebelt wohl schon deine Sinne. Komm, ich werde dich erneut zur Tränke bringen.« Das war bitterer Zynismus, der Sabeth einen Stich versetzte. Durst? Den hatte sie vergessen, seit sie ahnte, was auf der anderen Knotenwelt geschah. Sie musste zur Wurzel - unter allen Umständen.
Auch ihre Vampirfähigkeit, die ihr gestattete sich zu entmaterialisieren, funktionierte im Kokon so wenig, wie der
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