089 - Das Heer des Untoten
stand und offenbar zwischen den Uhren etwas entdeckt hatte. Er nahm es und betrachtete es verwundert.
Dorian stieg wieder hinauf.
„Beeilen Sie sich, Williams. Wir sollten keine Zeit verlieren." Dann sah er, was der Arzt in der Hand hielt.
Es war eine Uhr mit einem Gehäuse aus ziseliertem Silber!
„Sehen Sie, Hunter", sagte Williams aufgeregt. „Ist das nicht Mrs. de Milles Uhr?"
„Ja", erwiderte Dorian Hunter. Er begann zu ahnen, daß ihre Lage ernster war, als er angenommen hatte. Er war nicht sicher, was es bedeutete. Es gab mehrere Möglichkeiten, aber sie waren alle gleich unerfreulich. Die Schattenwelt hatte ihre Gesetze. Nun erkannte er, daß er Mother Goose unterschätzt hatte.
Was sie in Mrs. de Milles Zimmer vorfanden, bestätigte seine Ahnung. Die Leiche der Frau war verschwunden. Das Fenster stand offen.
„Aber sie kann doch nicht…" begann der Arzt ungläubig.
Dorian nickte nur. „Noch kein Wort zu den anderen. Wir können keine Panik gebrauchen, und ich möchte erst herausfinden, was eigentlich vorgeht. Bleiben Sie bei den anderen. Sie sind der einzige, dem ich traue. Und schicken Sie mir Jeffers." Er deutete auf die Uhr in der Hand des Arztes. „Nehmen Sie die mit."
Zusammen mit Jeffers begann er, das Haus systematisch zu durchsuchen. Außer der Halle dem Eßzimmer und zwei weiteren kleinen Zimmern befanden sich keine Räumlichkeiten im Erdgeschoß. Eine Kellertreppe fanden sie nicht. Im Obergeschoß befanden sich zwölf Zimmer. Alle ähnelten jenen, die sie bewohnten. Alle waren überladen mit den unglaublichsten Dingen. Aber Dorian nahm sich nicht die Zeit, in dem Plunder zu wühlen, so wertvoll er auch sein mochte.
Auch hier entdeckten sie niemanden. Überall standen Uhren, deren Ziffernblätter grau waren, grau und leer. Sie hatten auch keine Zeiger. Und noch etwas fiel Dorian auf: Sie tickten ganz langsam. Es fiel ihm zunächst nicht auf. Aber als er eine an sein Ohr hielt, schien es ihm, als tickte sie nicht nur unglaublich langsam, sondern auch zögernd und unregelmäßig.
Als hätte sie kein Muster, nach dem sie ticken konnte.
Kein Herz, dessen Rhythmus sie sich anpassen konnte!
Warteten all diese Uhren noch auf ein Leben?
Oder tickten sie, weil keines mehr in ihnen war? Im Rhythmus eines Herzens, das nicht mehr schlug - aber einst geschlagen hatte?
Das war der Verdacht, der den Dämonenkiller quälte. War es möglich, daß alle, deren Leben mit diesen Uhren verknüpft war, zu Untoten wurden?
Das schien ihm die plausibelste Erklärung. Aber es war ein grauenvoller Gedanke.- Hier tickten Hunderte solcher Uhren. Wenn es stimmte, besaß die alte Hexe eine ganze Armee. Er verstand nicht, welches Spiel sie mit ihnen trieb. Warum hielt sie nicht einfach ihre Uhren an und reihte die ganze Gesellschaft in die Reihen ihrer Untoten ein?
Oder war es nicht so einfach?
Schließlich entdeckten sie einen Aufgang zum Dachgeschoß. Und hier fanden sie endlich, was sie suchten.
In einem kleinen Raum, der aussah wie eine Uhrmacherwerkstatt, vollgestopft mit Zahnrädern und Gehäusen saß vornübergebeugt Mother Goose. Sie war gealtert, wenn Zeit überhaupt etwas für sie bedeutete - nicht um die vergangenen fünfzehn Jahre, sondern, um hundert. Sie sah aus wie der fleischgewordene Fluch der Unsterblichkeit - einer Unsterblichkeit, die mit Schrecken und Grauen erkauft worden war. Sie sah aus wie eine Untote, aber sie war keine. Sie war etwas, das sterblich war und nicht starb.
Der Dämonenkiller schauderte. Ein über alle Maßen erschöpftes Herz pumpte wäßriges Blut durch zerrissene Adern, und schwammige Haut und blinde Sinne mochten vage Erinnerungen von den Dingen vermitteln, die das Leben so kostbar machen. Nur ihr Geist und ihre genialen Finger schienen ihre Fähigkeiten nicht verloren zu haben.
Nein, er hatte keinen Dämon vor sich, nur ein bedauernswertes Geschöpf, das sich mit dem Teufel eingelassen hatte - und verloren hatte.
„Ah, Taffy", sagte sie mit einer Stimme, die nur noch wenig Menschliches an sich hatte. „Bist du gekommen, um zu büßen?" Sie lachte.
Mit einem wimmernden Laut des Grauens wandte Jeffers sich ab. Dann erstarrte er und blickte mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen auf die Treppe.
Eine Gestalt kam hoch. Wasser tropfte auf das steinalte Holz. Es roch nach Regen, nach Schlamm und Fäulnis.
„Nein", wimmerte Jeffers. „Nein…“
Mother Goose lachte schrill.
Der Dämonenkiller starrte ungläubig auf die Gestalt, als das Licht der unter
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