089 - Der grüne Henker
ihre Spur verlieren, dann war sie gerettet.
Hastig kletterte sie am Baum hinunter. In dieser Nacht hatte sie sich bereits sehr verausgabt. Ihre Reserven waren stark geschrumpft, doch die Aussicht darauf, Colock vielleicht doch noch entkommen zu können, gab ihr unerwartete Kraft.
Sie hoffte wieder, und diese neue Hoffnung ließ sie sogar einen Teil ihrer Schmerzen vergessen.
Lauf, Ruana! schrie es in ihr, als sie den feuchten Waldboden unter ihren nackten Füßen spürte. Lauf, so schnell du kannst! Eine letzte Chance hast du noch! Nutze sie!
Sie hörte den Raubvogeldämon über sich. Blätter segelten herab, Äste brachen. Colock kam!
Ruana sah nach oben. Groß und bedrohlich sah die schwarze Gestalt des Feindes aus. Colocks Anblick trieb das Mädchen zu größter Eile an.
Die Angst verlieh Ruanas Füßen Flügel. Sie rannte los, blickte sich nicht mehr um, wich jedem Hindernis geschickt aus, sprang über Wurzeln, die weit aus dem Boden ragten, schlüpfte unter tiefhängenden Ästen hindurch.
Sie hätte nicht gedacht, daß sie noch zu einer solchen Leistung fähig wäre, nach all dem, was sie hinter sich hatte.
Es war vor allem die wahnsinnige Angst, die sie immer weiter trieb. Den Rest besorgte die Hoffnung.
Sie merkte, daß Colock ihr folgte. Deutlich war zu hören, wie er durch das dichte Unterholz preschte, aber er war nicht so schnell wie sie.
Die Geräusche, die er verursachte, blieben immer weiter hinter ihr zurück. Nun mußte sie die Laufrichtung ändern, und sie durfte keine Spuren hinterlassen, dann würde Colock an ihr vorbeistürmen, und die schreckliche Gefahr, die er verkörperte, würde sich in der finsteren Weite des Waldes verlieren.
Ruana schwenkte nach rechts ab. Dadurch lief sie parallel zur Reviergrenze, und damit rechnete der Raubvogeldämon bestimmt nicht.
Für ihn stand fest, daß sie die Grenze erreichen wollte, und er würde alles versuchen, sie daran zu hindern, sein Gebiet zu verlassen.
Ihr Vorsprung war zwar groß, doch so schnell gab Colock nicht auf.
Leichtfüßig übersprang das Elfenmädchen die zahlreichen Hindernisse. Jetzt federte sie über einen morschen Baumstamm, lief um einen uralten dicken Baum herum und zwängte sich zwischen zwei Felsen.
Ihr Herz raste. Sie hoffte, sich weit genug von Colock abgesetzt zu haben, und hoffentlich entdeckte er ihre Spuren nicht, sonst durchschaute er den Trick und kam hierher.
Die zusätzlichen Kräfte, die ihr Angst und Hoffnung verliehen hatten, waren fast restlos aufgebraucht.
Wenn sie gezwungen war, ihre Flucht fortzusetzen, würde sie nicht mehr weit kommen. Die nächsten Minuten würden die Entscheidung bringen.
Hatte sie gewonnen oder verloren?
Sie hörte und sah nichts von dem Raubvogeldämon. War es möglich, daß es ihr gelungen war, ihn abzuhängen?
Ruana wagte es noch nicht, sich zu freuen. Sie hatte Angst vor einer schrecklichen Enttäuschung.
Deshalb begegnete sie dem Frieden nach wie vor mit großem Mißtrauen. Wie recht sie daran tat, bemerkte sie einen Augenblick später, denn plötzlich legte sich eine Hand auf ihren nackten Rücken…
***
Rasch bekamen die Hexen Oberwasser. Wir waren dieser Übermacht einfach nicht gewachsen, mochten wir noch so verbissen und beherzt kämpfen.
Ein Heulen und Kreischen umgab uns. Die wilden Weiber gerieten mehr und mehr außer Rand und Band.
Doch plötzlich richtete sich dieses Heulen und Kreischen nicht mehr gegen uns, sondern gegen zahlreiche Eindringlinge, die das Hexendorf stürmten.
Käfermänner!
Von allen Seiten kamen sie. Nichts Besseres konnte uns passieren, als daß die Hexen sich gegen die Käfermänner stellen mußten.
Der Überfall der Käfermänner kam uns wahrhaftig sehr gelegen. Kraftstrotzende Kerle fielen über die klapperdürren Weiber her.
Sie töteten die Hexen mit ihren gefährlichen Krallen oder bissen mit ihren großen harten Zangen zu.
Wir hätten einige von ihnen getötet, deshalb wollten die Käfermänner uns haben. Nicht die Hexen sollten uns töten, sondern sie wollten es tun.
Da die schrecklichen Weiber uns jedoch nicht freiwillig herausgegeben hätten - immerhin hatte ich den Feuerteufel vernichtet - fielen die Männer mit den grauenerregenden Käferschädeln über die kreischenden Vetteln her.
Wenn zwei sich streiten…
Ich reagierte sofort. Während sich das Kampfgeschehen verlagerte, eilte ich zu Al Owen und Marty Kanter.
»So eine Chance kriegen wir nie wieder. Kommt, wir müssen sie nutzen!« keuchte ich.
Marty Kanter
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