0890 - Stygias Plan
sich, denn nach dem Durchgang in die Stadt war er zunächst einmal in die Hocke gegangen. Nicht etwa um sich so klein wie nur möglich zu machen, was bei einem Eindringen auf fremdes Gebiet sicherlich ratsam war, nein, er spürte, wie ihn diese Passage angestrengt hatte. Wie war das möglich? Er war nach wie vor einer der mächtigsten Dämonen in der Höllenhierarchie. Nichts und niemand vermochte seiner Kraft und Macht zu widerstehen. Doch dieser kleine Schritt durch die Schwachstelle des Kokons hatte ihn eine Menge Energie gekostet.
Ein wenig schwankend kam er hoch. Was, wenn diese Stadt tatsächlich nicht mehr zu bieten hatte als weiße Häuser? Welchem Zweck mochte sie dienen? Lucifuge Rofocales Blicke blieben bei den schwarzen Flammen haften, von der je eine auf den Dächern der Gebäude zu finden war.
Was bedeuteten diese Flammen? Waren sie Energiequellen? Das war es, was er als Erstes herausfinden wollte. Und anschließend… er zögerte. Das würde sich dann sicher ergeben, zumindest hoffte er das. Bislang jedenfalls gab es hier nicht viel, was ihn auch nur irgendwie hätte interessieren können.
Zielstrebig bewegte er sich auf das Gebäude zu, das rechts von ihm lag. Die Auswahl war groß, doch er vermutete, dass das eine so gut wie alle anderen war. Mit jedem Schritt, den er machte, spürte er, was eigentlich unmöglich war: Jede einzelne seiner Bewegungen fiel ihm schwer, zumindest schwerer, als er es von seinem kraftstrotzenden Körper gewöhnt war.
Der Dämon blieb verwirrt stehen. Ein Teil seiner Energie schien verschwunden zu sein - aber wohin? Rofocale setzte seinen Weg fort. In der Stille klang jeder seiner Schritte wie ein kleiner Donnerschlag. Er spürte die seltsame Magie, die von jedem Stein, von jedem der Gebäude ausstrahlte. War das die Antwort? Diese Magie war Lucifuge Rofocale fremd, absolut unbekannt.
Bisher war er von der Existenz der weißen und der schwarzen Magie ausgegangen. Gewisse Abweichungen hatte es immer einmal gegeben, Nuancen, Schattierungen die von dem festen Schema abwichen. Das hier jedoch war zu fremd. Was es auch immer war, es tat ihm nicht gut! Vielleicht ging dieser Effekt ja von den schwarzen Flammen aus. Rofocale wollte es ergründen.
Das Innere des Hauses war absolut leer. Wieder eine Sinnlosigkeit mehr, die der Erzdämon nicht einzuordnen wusste. Auf das Dach gelangte man über eine breite Treppe, deren Ersteigen ein leichtes Ziehen in Rofocales Beinen erzeugte.
Das Dach lag eben vor ihm. In seiner Mitte loderte die schwarze Flamme auf. Der Dämon agierte nun vorsichtiger, als es allgemein seine Art war. Hier gingen Dinge vor, die er noch nicht richtig einschätzen konnte. Wenn die Magie dieser Stadt fähig war ihn zu schwächen - was mochte sie dann noch alles können? Lucifuge Rofocale war von seiner Macht überzeugt, doch er war nicht verrückt. Wenn man ein Risiko vermeiden konnte, dann sollte man dies auch tun.
Mit Bedacht trat er an die Flamme heran, jederzeit bereit, sie zu attackieren. Doch nichts geschah. Die schwarze Fackel strahlte nicht einmal Hitze aus. Der Dämon gab zu, verunsichert zu sein. Eine ganz neue Erfahrung für ihn, der geglaubt hatte, alles zu kennen, alles zu verstehen. Verunsicherung schuf Wut. Lucifuge Rofocale breitete seine mächtigen Schwingen aus. Wie ein riesiger Fächer schlugen die Flügel auf und nieder… doch die Flamme blieb davon unbeeindruckt. Sie ließ sich nicht einfach so ausblasen.
Lucifuge Rofocale schrie auf. Was für ein Spiel trieb man hier mit ihm? Aus den Fingern des Dämons schossen schwarze Blitze, die immer und immer wieder in die Flamme einschlugen. Schwer atmend stellte der frühere Ministerpräsident der Hölle seine Attacken ein. Sie hatten keinerlei Wirkung gezeigt. Ihn selbst hatten sie jedoch geschwächt… wie ein Ertrinkender schnappte er nach Luft.
Ich muss hier weg! Dieser Ort könnte mein Ende bedeuten.
Angst? Eine Emotion, die er so nicht kannte, doch nun packte sie ihn eiskalt an. Je mehr er sich hier anstrengte, desto mehr schwächte er sich selbst. Rofocale wandte sich um. Die Treppe wollte er sich ersparen, denn seine Schwingen würden ihn auch so sicher zu Boden tragen. Am Dachrand zuckte er jedoch zurück. Dort unten auf der breiten Straße hatte er Gestalten erkannt! Zu jedem anderen Zeitpunkt wäre das für ihn kein Grund gewesen, sich in Deckung zu begeben, denn er fürchte nichts und niemanden. Jetzt jedoch erschien genau das die bessere Lösung zu sein.
Was er dort unten
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