0891 - Geschenk der Götter
gesehen."
Der Plan der inneren Einteilung der Pyramide hatte schon zweimal gewechselt. Vermutlich würde der Pharao die dritte Lösung bevorzugen. Der Eingang zur pharaonischen Grabkammer war auf der nördlichen Fläche festgelegt worden. Dreißig Ellen über dem Boden begann der Gang, führte achtunddrei-ßig Ellen abwärts, dann wieder aufwärts. Dieser Knick würde von gigantischen Quadern versperrt werden - dann, wenn sich die Mumie des Pharaos in der Grabkammer befand. Der Granit war bereits aus Assuan herbeigeschafft worden, auf schweren Nilbarken. „Das läßt mich hoffen", murmelte Menketre und ließ seinen Blick hingerissen über die gewaltige Szenerie schweifen. Tausende von Menschen vollführten einen Lärm, der über der Baustelle wie ein ewiges Summen und Klirren hing, zugleich mit der Wolke aus Gestank nach Schweiß und Essen. „Es gab wenige Tote. Die Löwen haben sich einige Opfer geholt. Die Verletzten sind versorgt und zurückgebracht worden. Es ist zwar die erste Baustelle dieser Größe, die ich für dich leite. Aber ich denke, ich habe genug von dir gelernt, Herr und Oberster Meister aller pharaonischen Bauten."
„Du kannst schon mehr als ich, Ranofer. Im, Ernst: der Pharao sprach zu mir. In dreißig Tagen will er den Fund, den er das Auge der Götter1 nennt, in die kleine Kammer auf die Granitpodeste legen. Und zwar selbst, was für den Mut und die Zuversicht unseres Herrn spricht."
„Wenn es nach den Arbeitern und uns geht, steht diesem Termin nichts entgegen."
„Ich glaube es auch. Haben sich die Priester gemeldet?"
„Nein. Genau das macht mich unsicher und läßt mich fürchten, daß Omen-tep-pheser etwas vorhat, das uns alle sehr überraschen wird."
Voller Ernst erwiderte der Baumeister: „Ich sprach vor drei Tagen mit Chufu. Er denkt dasselbe. Aber er zeigt keine Furcht. Im Augenblick wird er von Ma-et'kere stark beeinflußt. Sie ist eine kluge Frau - und eine Schönheit...!"
Er stieß einen schrillen Pfiff der Anerkennung aus. „Denke an deine samthaütige Sklavin, Baumeister. An die Konkubine des Herrschers zu denken, ist zumindest sinnlos, wenn nicht gefährlich!"
„Unter Chufu ist das Denken nicht verboten Worden", knurrte Menketre. „Hören wir auf, uns gegenseitig zu loben - gehen wir in die Bauhütte, um zu arbeiten."
„Wo auch Bier auf uns wartet, in Krüge gefüllt und von nassem Leinen kalt gehalten", schloß der junge Vertreter des verantwortlichen Architekten.
Neunundzwanzig Tage verstrichen ohne Hast, ohne größere Zwischenfälle, und die Pyramide wuchs. Es wuchsen auch die Flächen, die bis zu einer Tiefe von fast elf Ellen mit Kalkstein verblendet wurden.
Der Berg aus weißem Stein wurde kleiner.
Die Form des langgestreckten, löwenartigen Körpers wurde erkennbar. Der Kopf und die Schultern und auch die Vorderpranken waren noch nicht bearbeitet worden.
Auch Hesiräs Steintafel voller Hieroglyphen befand sich noch weit entfernt vom Rätselbild und der Pyramide.
Schließlich brach der dreißigste Tag an.
In der Zeit zwischen Sonnenaufgang und Mittag landeten die vielen, reichgeschmückten Barken. Der Troß aus dem Palast sammelte und formierte sich. Die Arbeit hatte an diesem Tag erst gar nicht angefangen; die vielen Tausende wuschen sich im Nil, tranken und aßen, viele schliefen lange, bis der Lärm sie weckte. An vielen Stellen hatten sich kleinere oder größere Gruppen gebildet. Sie sangen, klatschten in die Hände und stampften mit den Sohlen den kühlen Sand. Einzelne einfache Musikinstrumente klimperten und rasselten.
Wieder andere schlugen Hölzer gegeneinander. Zwischen der Anlegestelle zwischen Tamarisken und unter Palmen und dem großen Eingang des geheimen Ganges bildete sich, ohne daß Menketre oder Ranofer einen Befehl hätten gegen müssen, eine breite Gasse. Stellenweise wurde der Sand geglättet; man räumte Bauholz, Steintrümmer und Abfälle weg und versteckte sie.
Eine andere, schmalere Gasse öffnete sich zwischen den massiven Bauten der Bauhütten und dem kleinen Tempel, in dem das Göttergeschenk, von zwölf Bogenschützen in drei Gruppen bewacht, ruhte.
Später würde hier der Aufweg zu Chufus Verehrungstempel entstehen.
Der Lärm und die Geräusche, die heute ertönten, waren ganz anders als in den letzten Jahren. Hesirä traf als erster bei Menketre und Ranofer ein und stürzte wortlos einen riesigen Becher Bier heruntergehe er sagte: „Freunde! Wenn die geringste Panne passiert, wird der Pharao mitsamt dem Götterauge
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